Anubis - Roman
kurzfristige Darlehen gegeben hatte, obwohl er selbst alles andere als gut betucht gewesen war.
Sie erreichten das Ende des Tunnels und damit die große Höhle, die anders als am Morgen jetzt hell erleuchtet war; Tom hatte sämtliche elektrische Lampen eingeschaltet. Nur ein Stück jenseits der Stelle, an der sie am Morgen die Kiste abgestellt hatten, standen nun drei der großen sargähnlichen Behältnisse, gerade weit genug zur Seite gerückt, dass man aus dem Tunnel heraustreten konnte, ohne darüber zu stolpern. Wilson schenkte ihnen jedoch kaum Beachtung, sondern sah sich aus staunend aufgerissenen Augen um. Mogens registrierte voller Unbehagen, dass die Lattentür zu dem mit Hieroglyphen verzierten Gang weit offen stand und auch dahinter Licht brannte. So schnell, wie er es wagte, ohne Wilsons Misstrauen durch zu große Hast noch weiter zu schüren, drehte er sich herum und deutete in die entgegengesetzte Richtung, wobei er Wilson wie durch Zufall den direkten Blick auf den Gang vertrat.
»Was Sie interessieren dürfte, ist dort hinten«, sagte er.
Wilson sah ihn beinahe lauernd an. »Woher wissen Sie, was mich interessiert, Professor?«, wollte er wissen.
»Sie wollten wissen, was wir hier gefunden haben«, antwortete Mogens achselzuckend. »Sie können sich gern auf eigene Faust umsehen. Allerdings bezweifle ich, dass Sie die wirklich interessanten Dinge auch nur erkennen würden.«
»Weil ich nur ein dummer kleiner Sheriff aus einem hinterwäldlerischen Kaff bin«, vermutete Wilson.
»Weil das, was wir entdeckt haben, auf den ersten Blick ziemlich unspektakulär ist«, antwortete Mogens in ganz bewusst leicht verärgertem Ton. »Aber wie gesagt: Es steht Ihnen frei, sich allein umzusehen. Wir haben keine Geheimnisse.« Es gelang ihm jetzt, einigermaßen beiläufig zu klingen, aber er wusste selbst nicht zu sagen, wie lange noch. Innerhalb der letzten zwanzig Minuten hatte er Wilson einen gehörigen Vertrauensvorschuss gegeben, aber der Sheriff strengte sich nicht unbedingt an, ihn einzulösen.
Wilson maß ihn auch jetzt noch gute fünf Sekunden lang – eine Ewigkeit – mit durchbohrenden Blicken, aber dann entspannte er sich sichtbar und sagte, nachdem er seinen Hut abgenommen hatte: »Bitte, Professor. Gehen Sie voraus.«
Zumindest innerlich atmete Mogens vorsichtig auf. Es gefiel ihm nicht, Wilson auf eine so überhebliche Art zu behandeln – schon weil er sich mit einem derartigen Betragen mehr in Graves’ Nähe rückte, statt sich von ihm abzugrenzen –, aber Wilson schien es geradezu darauf angelegt zu haben. Mogens ging betont langsam weiter und trat an den langen Arbeitstisch heran. Ohne Wilson, der die daraufliegenden Werkzeuge, Artefakte, Papiere und Bücher ebenso neugierig wie verständnislos musterte, auch nur eines Blickes zu würdigen, nahm er eine der Petroleumlampen, von denen sich mehr als ein halbes Dutzend in dem Durcheinander fanden, wenn man sich nur die Mühe machte, genau hinzusehen. Er entzündete den Docht, reichte die Lampe an Wilson weiter und entzündete eine zweite Sturmlaterne für sich. Wilson warf noch einen fast sehnsüchtigen Blick zu der offen stehenden Tür, schloss sich Mogens dann aber zu seiner insgeheimen Erleichterung an.
Jetzt, wo die Höhle fast taghell erleuchtet war, kam sie ihm größer vor als am Morgen, als er Graves auf die gleiche Weise gefolgt war wie Wilson nun ihm. Einen kurzen Moment lang war er nicht einmal sicher, ob er den richtigen Durchgang auf Anhieb finden würde, denn es gab davon deutlich mehr, als er bisher angenommen hatte. Die Höhle schien nur der Ausgangspunkt zu einem wahren Labyrinth unterirdischer Stollen und Gänge zu sein. Sie hatten nicht alle Zeit der Welt. Dass Graves sie bisher noch nicht entdeckt hatte, kam ihm schon fast wie ein kleines Wunder vor, aber gerade weil es so unwahrscheinlich war, begann er zu hoffen, dass sie diesen Besuch möglicherweise sogar unbehelligt zu Ende bringen würden. Was Graves hinterher sagte oder auch tat, war ihm vollkommen gleichgültig. Mogens hatte sich – wieder einmal – entschlossen, das Lager endgültig zu verlassen, und das noch heute. Er hoffte sogar, Wilson dazu überreden zukönnen, Miss Preussler und ihn mit zurück in die Stadt zu nehmen.
Diesmal war nicht er es, der über die Kabel und Schläuche stolperte, die sich aus der Generatorhöhle herausringelten.
Wilson übernahm das für ihn.
Der Lichtschein seiner Laterne flackerte, und Mogens hörte einen gedämpften
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