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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Graves unterschätzte ihn. Der Geologe würde nicht aufgeben, bevor er nicht gesehen hatte, was sie dort unten taten. Und er würde ganz bestimmt mehr sehen als Wilson.
    Wie sich zeigte, litt Sheriff Wilson zwar nicht unter Klaustrophobie, stellte sich aber auf dem Weg nach unten weit ungeschickter an als selbst Mogens. Er brauchte gut doppelt so lange wie er, um die Leiter hinabzusteigen, und sein Fuß rutschte allein auf dem kurzen Stück zweimal von den Sprossen ab, sodass es Mogens im Nachhinein fast wie ein kleines Wunder vorkam, dass er den Grund des Schachtes erreichte, ohne abzustürzen und sich den Hals zu brechen – eine Vorstellung, die Graves vermutlich gefallen hätte.
    »Ich fühle mich nicht wohl auf Leitern«, gestand Wilson mit einem nervösen Lächeln, als er endlich neben ihm angelangt war; mit ganz leicht zitternden Händen und schweißbedeckter Stirn. »Um ehrlich zu sein, ist mir am wohlsten, wenn ich mit beiden Füßen sicher auf der Erde stehe. Das war schon immer so, schon als ich ein Kind war.«
    »Dann sollten Sie Gott jeden Abend in Ihrem Nachtgebet dafür danken, dass Sie nicht dreißig Jahre früher geboren worden sind«, sagte Mogens. Wilson zog fragend die linke Augenbraue hoch, und Mogens fügte hinzu: »Dann hätten Sie Ihren Beruf im Sattel eines Pferdes ausüben müssen.«
    Wilson lachte pflichtschuldig, aber Mogens sah ihm an, dass er diese Bemerkung nicht besonders lustig fand. Rasch deutete er mit einer Kopfbewegung hinter sich. »Kommen Sie. Ab jetzt bleiben wir auf festem Grund.«
    Wilson murmelte etwas, das sich wie »Sehr witzig!« anhörte, und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn, um den Schweiß wegzuwischen, schloss sich ihm aber gehorsam an, als er sich umdrehte und gebückt in den niedrigen Tunnel eindrang.
    »Sie haben elektrisches Licht«, sagte Wilson anerkennend. »Doktor Graves hat wirklich an nichts gespart.«
    Mogens nickte nur und beschleunigte seine Schritte ein wenig. Er versuchte sich auf die Geräusche vor ihnen zu konzentrieren – die Frage, wie er reagieren sollte, wenn sie in die Höhle hineintraten und sich unversehens Graves gegenübersahen, stellte er sich vorsichtshalber erst gar nicht –, aber alles, was er hörte, war das gleichmäßige Tuckern des Generators. Jener sonderbare Unterton war noch darin, und Mogens schien es auch so, als wäre er lauter geworden.
    »Wir haben nicht einmal in der Stadt überall elektrischen Strom«, fuhr Wilson hinter ihm fort. »In meinem Büro haben wir noch Gaslaternen – aber offen gesagt vermisse ich es auch nicht. Manchmal erschrecken mich all diese modernen Dinge richtiggehend. Sie machen das Leben nicht wirklich einfacher, finde ich. Es mag bequem sein, nur einen Schalter umlegen zu müssen, damit es hell wird, aber ich frage mich immer, ob wir uns letzten Endes damit wirklich einen Gefallen tun. Ich meine: Was, wenn all dieses neumodische Zeugs irgendwann einmal nicht mehr funktioniert? Eine Petroleumlampe kann jedes Kind reparieren. Früher haben wir sie uns selbst gebaut, aus einer alten Konservendose und einem Docht. Aber einen Generator?«
    Mogens hütete sich, zu antworten. Wilson plapperte, nicht weil er etwas zu sagen hatte – oder gar wusste , worüber er sprach –, sondern um seine Nervosität zu überspielen. Anscheinend flößte ihm diese Umgebung mehr Unbehagen ein, als er zugeben wollte.
    »Doktor Graves scheint ein sehr wohlhabender Mann zu sein«, fuhr Wilson im gleichen, nervös-plappernden Ton fort. »Das alles hier muss ein Vermögen gekostet haben. Sie kennen sich schon lange?«
    »Wir haben zusammen studiert«, antwortete Mogens. »Aber seit damals haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren.«
    Wilsons Frage irritierte ihn. Der Sheriff hatte vollkommen Recht. Graves hatte ihm erzählt, dass er dieses ganze Gelände gekauft hatte – und auch wenn es vermutlich nicht besonders teuer gewesen war, umsonst war es sicher nicht gewesen. Dazu kamen die Automobile, der Generator, die wissenschaftliche Ausstattung und die exorbitanten Saläre, die Graves seinen Kollegen mit Sicherheit ebenso gezahlt hatte wie ihm, um sie hierher zu locken … all das hatte ein Vermögen gekostet, und vermutlich nicht einmal ein kleines.
    Mogens fragte sich, woher es kam. Graves hatte weder vermögende Eltern, noch hatte er während ihrer gemeinsamen Zeit in Harvard über nennenswerte Geldmittel verfügt. Ganzim Gegenteil war es meistens Mogens gewesen, der ihm das eine oder andere

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