Anubis - Roman
genau Tom tat, aber nur einen Moment später begann sich eines der Seile zu spannen und Mogens glaubte ein helles, rhythmisches Quietschen zu hören. Der Deckel der letzten, bisher verschlossenen Kiste schwang auf. Ein sonderbarer, leicht süßlicher Geruch stieg Mogens in die Nase, fremd und auf unangenehme Weise zugleich vertraut, aber es dauerte noch einen Moment, bis Mogens ihn wirklich erkannte. Ungläubig und entsetzt zugleich sog er die Luft ein.
»Das ist …«
»Was hast du erwartet?«, fiel ihm Graves ins Wort, leise, aber in einem fauchenden Ton, der an das Zischen einer angreifenden Schlange erinnerte, kurz bevor sie zuschlug. »Dass wir sie mit den sterblichen Überresten von Miss Preusslers Katze anlocken?« Er schüttelte zornig den Kopf. »Diese Kreaturen ernähren sich von Menschenfleisch , Mogens!«
»Aber du … du …« Mogens begann zu stammeln und brach schließlich ab. Was hätte er sagen sollen, das Graves nicht mit einer einzigen hämischen Bemerkung entkräften konnte? Und das mit Recht. Graves hatte ihn nicht ein einziges Mal belogen. Ganz im Gegenteil: Der Einzige, der stets und beharrlich die Augen vor der Realität verschlossen hatte, war er .
Und irgendwie tat er das sogar jetzt noch, denn das Schlimmste war noch nicht vorbei, obwohl er es hätte wissen müssen. Er wusste es. Graves hatte es ihm ja gesagt. Er hatte es einfach nicht wissen wollen .
Mogens starrte Graves noch einige Sekunden lang fassungslos an. Der süßliche Verwesungsgeruch wurde stärker, und Mogens schob sich mit klopfendem Herzen über den Rand ihrer Deckung und strengte sich an, um einen Blick ins Innere der Kiste zu werfen. So schwach das Licht war, hatten sich seine Augen doch mittlerweile weit genug andie Dunkelheit gewohnt, um ihn zumindest einige Schritte weit sehen zu lassen. Aber beinahe bedauerte er, dass es so war.
Hyams sah gar nicht aus, wie er sich eine Tote vorgestellt hatte. Vielmehr schien sie zu schlafen. An ihrem Hals befand sich eine klaffende Wunde, und ihre ehemals weiße Bluse hatte sich fast zur Gänze dunkel gefärbt, aber Graves war zumindest pietätvoll genug gewesen, ihr Gesicht zu säubern und ihre Augen zu schließen.
»Das ist … Hyams«, stammelte Mogens. »Großer Gott, Jonathan, du … du hast Doktor Hyams …?«
»Ich habe dir gesagt, dass wir einen Köder brauchen«, antwortete Graves kalt.
»Aber Hyams!«, ächzte Mogens. »Um Gottes willen, Graves, was hast du getan?«
»Ich habe gar nichts getan «, antwortete Graves scharf und bedeutete Mogens gleichzeitig mit einem ärgerlichen Wink, sich wieder zu setzen und nicht so laut zu sein. »Doktor Hyams ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, hast du das schon vergessen?«
»Aber du … du kannst sie doch nicht …«, stammelte Mogens. »Ich meine … um Himmels willen, Jonathan! Du … du hast fast ein Jahr mit dieser Frau zusammengearbeitet! Du hast sie gekannt! Du kannst sie doch nicht … nicht einfach als Köder benutzen!«
»Ich bin sicher, Doktor Hyams hätte nichts dagegen«, antwortete Graves ungerührt. »Was kann sich jemand wie sie mehr wünschen, als selbst nach dem Tod noch der Wissenschaft zu dienen?« Er lachte böse. »Was hast du geglaubt, wer in diesem Sarg liegt? Cleopatra?«
»Aber … aber ich dachte … nachdem Sheriff Wilson von den Grabschändungen erzählt hatte …«
»Oh, ich verstehe«, unterbrach ihn Graves hämisch. »Du hast geglaubt, dass Tom und ich uns des Nachts heimlich auf den Friedhof geschlichen und die Leiche irgendeines armen Tropfes ausgebuddelt haben.« Graves schüttelte heftig den Kopf. »Würdest du dich dabei wohler fühlen?«
»Verdammt noch mal, ja!«, brüllte Mogens.
Graves fuhr heftig zusammen und wurde eine Spur blasser, was aber vermutlich eher an der Lautstärke von Mogens’ Worten lag.
»Ich bitte Sie, Professor, mäßigen Sie Ihren Ton«, sagte er ironisch. »Nicht so laut!«
»Es wäre ein Unterschied«, wiederholte Mogens. »Und das weißt du verdammt genau, du Monster.« Aber er sprach tatsächlich leiser.
»Bist du jetzt fertig?«, fragte Graves.
Mogens starrte ihn an. Er schwieg.
»Wie gesagt: Wir sind alle nervös, und ich nehme dir diese Entgleisung nicht übel. Aber zweimal ist genug. Wenn das alles hier zu viel ist für dich, verstehe ich das. Du kannst gehen, wenn du es wünschst. Ich werde es dir nicht übel nehmen. Aber wenn du bleibst, dann verbitte ich mir weitere derartige Auftritte. Haben wir uns verstanden?«
Graves
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