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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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starrte ihn an. Mogens starrte zurück, aber am Ausgang dieses stummen Duells bestand kein Zweifel, so wie an keinem der Kämpfe, die sie bisher ausgefochten hatten. Als er in den Zug nach San Francisco gestiegen war, war er zugleich in einen Krieg gezogen, den er schon verloren hatte, noch bevor der erste Schuss gefallen war. Graves hatte sich nicht einmal anstrengen müssen, um ihn zu gewinnen. Er hatte einfach gesiegt, weil er da war.
    Und so war es schließlich auch diesmal Mogens, der den Blick senkte und stumm nickte.
    »Also gut«, sagte Graves. »Und jetzt sollten wir wirklich schweigen. Ich habe das Gefühl, dass es nun nicht mehr lange dauert.«
    Zumindest in diesem Punkt sollte er sich täuschen. Möglicherweise verging wirklich nicht mehr allzu viel Zeit, doch selbst eine kurze Zeit konnte zu einer schieren Ewigkeit werden, und so dehnten sich die Sekunden zu Stunden und die Minuten zu Unendlichkeiten. Mindestens ein Dutzend Mal glaubte er Geräusche zu hören, und mindestens ebenso oft gaukelten ihm seine Augen dazu eine verkrüppelt-humpelndeBewegung in den Schatten vor, doch jedes Mal stellte es sich nur als Trugbild heraus.
    Und dann hörte das Schlurfen und Schleichen plötzlich nicht mehr auf, und der Schatten, der fuchsohrig und humpelnd aus der Dunkelheit vor ihm auftauchte, war kein weiterer Albdruck.
    Der Ghoul war da.
    Mogens hatte das Gefühl, lautlos und schnell von innen heraus zu Eis zu erstarren. Er hatte geglaubt, sich hinlänglich gegen diesen Moment gewappnet zu haben, aber auch das gehörte anscheinend zu der Kette aufeinander aufbauender und einander verschlimmernder Irrtümer, aus denen sein Leben bestand, seit er diesen verfluchten Ort betreten hatte. Es war nicht das erste Mal seit jener furchtbaren Nacht in Harvard, dass er wieder einem dieser Ungeheuer gegenüberstand, doch Mogens begriff erst jetzt wirklich, dass es Dinge gab, auf die man sich nicht vorbereiten konnte , ganz egal, wie sehr man es auch versuchte.
    Graves hatte sich geirrt: Der Schatten vor ihm war das Ding, das Janice geholt hatte, sein ganz persönlicher Dämon, von der Hölle zu keinem anderen Zweck erschaffen und ausgespien, als ihn zu verderben. Es hatte nichts damit zu tun, dass er sich zu wichtig nahm, denn ganz genau das war das Wesen der Hölle: Dass sie nichts belanglos tat oder nebenbei, sondern jedes einzelne ihrer Opfer mit all ihrer Macht und ihrer gesamten Bosheit zu verfolgen trachtete.
    »Keinen Laut mehr jetzt!«, zischte Graves. Mogens löste seinen Blick nicht für eine Sekunde von dem gedrungenen Schatten, aber er konnte spüren, wie Graves sich neben ihm anspannte. Gleich darauf hob er die Hand, um Tom einen verstohlenen Wink zu geben. Mogens’ Herz schlug schneller, während er den Schatten beobachtete, der allmählich näher kam, aber das Blut, das immer schneller und schneller durch seine Adern pumpte, schien nun aus Eiswasser zu bestehen, in dem rasiermesserscharfe Schollen schwammen.
    Der Ghoul kam näher, aber er schien zugleich auch mit jedem Schritt langsamer zu werden. Mogens glaubte ein misstrauisches Schnüffeln zu hören, wie von einem Hund, der die Witterung einer Beute aufgenommen hatte, zugleich aber eine Falle befürchtete. Er bewegte sich nicht in direkter Linie auf den offen stehenden Sarg mit Hyams’ Leichnam zu, sondern schnüffelte unentwegt von links nach rechts. Der Blick seiner unheimlichen, rot glühenden Augen tastete misstrauisch über den angebotenen Köder, aber auch über die beiden anderen offen stehenden Särge, und mindestens einmal sah er Mogens so direkt in die Augen, dass dieser vollkommen sicher war, dass das Ungeheuer ihn einfach gesehen haben musste . Tatsächlich stockte das Monster für einen Moment im Schritt, ging aber dann nach kurzem Zögern weiter.
    Vielleicht auf Armeslänge vor dem Sarg blieb der Ghoul noch einmal stehen, und Mogens spürte, wie Graves neben ihm erschrocken zusammenfuhr, als er den Kopf in den Nacken legte und zur Decke hinaufsah. Er konnte das Netz gar nicht übersehen. Und dennoch ging er nach einem abermaligen Zögern weiter und beugte sich über den Sarg mit Hyams’ leblosem Körper. Seine schrecklichen Klauen öffneten sich, um sich in das Fleisch seiner Beute zu graben.
    »Tom!«, schrie Graves.
    Der Kopf des Ungeheuers flog mit einem Ruck in den Nacken, und fünf Schritte neben Mogens erwachte der Schatten, zu dem Tom bisher erstarrt gewesen war, zu fast explosivem Leben. Mogens konnte nicht erkennen, was er tat, doch

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