Anubis - Roman
wieder nur seine eigene Fantasie, die ihm einen bösen Streich spielte. Dennoch hämmerte sein Herz wie verrückt, als er Graves folgte, der die Laterne aufnahm und sich damit hinter den Schutz eines mächtigen Sandsteinquaders zurückzog, der vielleicht einmal der Sockel einer längst verschwundenen Statue gewesen war. Plötzlich war er fast froh über die Dunkelheit, die das Zittern seiner Hände verbarg. Der bittere Geschmack der Furcht begann sich in seinem Mund auszubreiten.
Er fragte sich, ob er der richtige Mann für diese Aktion war. Tom gesellte sich zu ihnen und huschte im nächsten Moment wieder davon, um hinter einem anderen Steinblock Deckung zu nehmen, nachdem Graves ihm einen entsprechenden Wink gab, und es war Tom, ganz zweifelsfrei – wer sollte es denn auch sonst gewesen sein, fragte die spöttische Stimme seiner Vernunft in Mogens’ Gedanken –, aber er hatte trotzdem immer mehr Mühe, sich der Vorstellung zu erwehren, dass sich sein Gesicht plötzlich auf grässliche Weise zu verändern begann, spitzer und länger wurde und eine sabbernde Hundeschnauze voller schrecklicher Fänge bildete, wie seine Fingerspitzen aufplatzten und sich mörderische Klauen daraus hervorschoben und spitze Ohren und borstiges Fell aus seinem Schädel herauswuchsen. Und es war nur seine Fantasie, die ihm so zu schaffen machte – was mochte geschehen, wenn er erst einmal wirklich einer dieser Bestien gegenüberstand?
»Hast du eine Waffe bei dir?«, fragte er.
»Wozu?« Graves schüttelte den Kopf. »Wir wollen einen Ghoul lebend fangen.«
»Deinen wissenschaftlichen Ehrgeiz in Ehren«, sagte Mogens, »aber es könnte sein, dass er nicht damit einverstanden ist.«
Graves deutete mit einer Kopfbewegung zur Decke hoch. »Diese Netze stammen von einem Ausrüster, der normalerweise Großwildjäger in Afrika beliefert. Sie sind stark genug, um einen wütenden Gorilla zu bändigen.«
»Und wenn sie stärker sind als ein wütender Gorilla?«
»Dann haben wir ein Problem«, antwortete Graves lächelnd. Aber er schüttelte auch gleich darauf beruhigend den Kopf. »Keine Sorge, Mogens. Ich habe einige Erfahrung mit diesen Kreaturen. Sie sind Aasfresser, keine Beutejäger.«
»Das sind Hyänen auch. Dennoch sind sie gefährlich.«
»Sie sind normalerweise nicht aggressiv«, beharrte Graves. »Das Überleben ihrer Art hängt davon ab, dass niemand von ihrer Existenz weiß.«
Mogens widersprach nicht, aber er sah so bezeichnend zu Tom hinüber, dass Graves sich offensichtlich zu einer Erklärung genötigt fühlte. »Sein Vater hat sie angegriffen. Vergiss das nicht. Selbst das friedlichste Tier wehrt sich, wenn man es angreift.«
»Und seine Mutter?« Mogens sprach bewusst leise, damit Tom seine Worte nicht verstand, aber ganz schien es ihm nicht gelungen zu sein, denn Tom wandte den Kopf in seine Richtung und sah ihn aus Augen an, die plötzlich dunkel vor Schmerz und Zorn wurden. Gerade hatte Mogens überlegt, ob er der richtige Mann für diese Aktion war. Vielleicht sollte er diesen Gedanken relativieren. Möglicherweise sollte die Frage lauten: Waren sie die Richtigen? Vielleicht hatte der Umstand, dass sie ohne Waffen hergekommen waren, ja einen ganz anderen Grund, als Graves behauptete.
Graves beantwortete seine Frage erst mit einiger Verspätung, und auch nicht wirklich überzeugt: »Vielleicht wollten sie nur ihr Revier verteidigen.«
»Und Janice?«, fragte Mogens bitter. »Mussten sie gegen Janice auch nur ihr Revier verteidigen ?«
Graves wand sich einen Moment, bevor er sich in ein trotziges Schulterzucken rettete. »Um genau diese Fragen zu beantworten, sind wir hier. Und jetzt sollten wir besser schweigen, um sie nicht schon zu verscheuchen, bevor sie überhaupt gekommen sind.«
Das war nicht der Grund, aus dem er Mogens zum Schweigen aufforderte. Er wollte nicht weiter über dieses Thema reden, begriff Mogens, vielleicht, weil er weniger darüber wusste, als er ihm gegenüber den Anschein zu erwecken versuchte. Vielleicht auch, weil er mehr darüber wusste.
Graves streckte die Hand nach seiner Laterne aus und drehte den Docht herunter, und das Licht zog sich unter dem Ansturm der Dunkelheit weiter zurück, bis es zu einem blassgelben, düsteren Schimmer geworden war, der kaum noch Helligkeit spendete, die Dunkelheit an ihrem Rand aber noch zu betonen schien. Dahinter kroch die Furcht heran.
Graves hob die Hand, um Tom einen Wink zu geben. Es war zu dunkel, als dass Mogens erkennen konnte, was
Weitere Kostenlose Bücher