Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
die Hocke sinken.
    »Was haben Sie?«, fragte Tom. Er klang alarmiert.
    Graves antwortete nicht, sondern beugte sich in der Hocke weiter vor und machte eine Bewegung, wie um sich mit den Händen auf dem Boden abzustützen, schrak dann aber im letzten Moment aus irgendeinem Grund davor zurück. Trotz des schlechten Lichts konnte Mogens erkennen, wie er-schrocken der Ausdruck auf seinem Gesicht plötzlich war.
    Auch er ließ sich in die Hocke sinken und sah dorthin, wo Graves’ Zigarettenstummel zu Boden gefallen war. Er lag immer noch hellrot glühend da, und als Mogens sich weiter vorbeugte, stieg ihm ein scharfer Geruch in die Nase; fast wie der Gestank von verschmortem Fleisch. In der nächsten Sekunde korrigierte er sich in Gedanken. Nein – nicht fast . Das war der Gestank von schmorendem Fleisch, denn die Zigarette war nicht auf den schlammigen Boden gefallen, sondern hatte etwas Weißes, Lebendiges getroffen, das sich nun unter der grausamen Hitze wand und drehte, ohne dem tödlichen Feuer, das sich in sein Fleisch brannte, entkommen zu können.
    »Großer Gott!«, stieß Miss Preussler hervor. »Was ist denn das?«
    Graves antwortete noch immer nicht, bewegte sich aber in der Hocke einen halben Schritt zurück, und Mogens musste sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht nur nicht dasselbe zu tun, sondern gleich in die Höhe zu springen und einen angeekelten Laut zu unterdrücken. Das Ding, auf das Graves’ Zigarette gestürzt war, war eine Art augen- und fühlerloser Schnecke, deutlich dicker, aber kaum größer als der Zigarettenstummel. Ihre Haut war nahezu durchsichtig, sodass man die winzigen, fremdartigen Organe darunter erkennen konnte, die in rasendem Takt pumpten und sich bewegten, um gegen die grausame Glut anzukämpfen, die sich immer weiter in ihr schmelzendes Fleisch fraß, und Mogens musste fast all seine Willenskraft aufbieten, um sich selbst davon zu überzeugen, dass das leise Zischen, das er hörte, das Geräusch des brennenden Fleisches war und kein Schrei.
    »Doktor Graves!«, keuchte Miss Preussler. »Ich flehe Sie an – erlösen Sie diese arme Kreatur!«
    Graves starrte sie einen Moment lang einfach nur fassungslos an, und selbst Mogens war überrascht, doch keiner von ihnen kam dazu, Miss Preusslers Wunsch zu erfüllen oder auch nur etwas darauf zu erwidern.
    Auch Tom hatte sich auf die Knie niedergelassen und vorgebeugt, und er bewies erneut, dass er ein weitaus pragmatischerer Mensch war als Graves oder gar Mogens. Ganz zweifellos musste der Anblick für ihn ebenso Ekel erregend sein wie für sie, was ihn aber nicht daran hinderte, ein Streichholz anzureißen und die Flamme an den Docht der kleine Karbid-lampe zu halten, die er mitgebracht hatte. Das weiße Licht war Mogens’ an die Dunkelheit gewöhnten Augen im allerersten Moment so unangenehm, dass er die Lider zusammenkniff und schützend die Hand vors Gesicht hielt.
    Trotzdem sah er, dass die Schnecke nicht allein gekommen war.
    Ganz und gar nicht.
    Miss Preussler stieß einen kleinen, spitzen Schrei aus und schlug beide Hände vor den Mund, und auch Mogens’ Selbstbeherrschung reichte nun nicht mehr. Abrupt sprang er in die Höhe, prallte einen Schritt zurück und fuhr herum – nur um erneut und diesmal ebenfalls mit einem angeekelten Laut auf den Lippen zu erstarren.
    So weit das weiße Licht der Laterne reichte, war der gesamte Boden rings um sie herum zu wimmelndem, schleimigem Leben erwacht. Es mussten Millionen sein, zumindest aber Tausende und Abertausende haarloser, winziger, sich drehender, windender, kriechender und krabbelnder Leiber, die aus dem Boden herausgekrochen waren, ihre Fußstapfen füllten – Mogens versuchte sich mit aller Gewalt dagegen zu wehren, aber plötzlich hörte er wieder das grässliche Geräusch, das Toms Schritte vorhin auf dem vermeintlich matschigen Untergrund verursacht hatten, und mit einem Mal bekam es eine ganz andere, schreckliche Bedeutung in seinen Ohren –, sich in Furchen und Radspuren ergossen und sich hier und da zu grotesken Gebilden aufzutürmen schienen, die ebenso schnell wieder in sich zusammenfielen, wie sie entstanden.
    »Mein Gott, Professor – was ist das?«, hauchte Miss Preussler.
    Selbst wenn Mogens die Antwort auf diese Frage gewusst hätte, hätte er in diesem Moment keinen Laut hervorgebracht. Er spürte zwar instinktiv, dass sie nicht wirklich inGefahr waren, aber der Anblick war so bizarr und Ekel erregend, dass er ihm buchstäblich die Kehle

Weitere Kostenlose Bücher