Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Hocke sinken und schlüpfte aus seinen Schuhen, so schnell er konnte.
    Und keinen Sekundenbruchteil zu langsam. Miss Preussler reagierte auf die lebende Barrikade, die er bildete, ganz genau so, wie er erwartet hatte – nämlich gar nicht –, und Mogens konnte sich gerade noch mit einem hastigen Satz durch die Tür retten, bevor sie hereinstürmte. Tom hatte längst den Anschluss verloren und folgte ihr in vier oder fünf Schritten Abstand, hielt aber dann ebenso wie Mogens auf der obersten Stufe an und drehte sich noch einmal um; wenn auch nicht, um seine Schuhe auszuziehen, sondern um seine Lampe noch höher zu heben, sodass ihr Lichtschein nun einen guten Teil des Platzes vor dem Haus erhellte.
    Was Mogens in dem knochenbleichen Licht erkannte, verlieh der Übelkeit, die in seinem Magen und in seinen Eingeweiden wühlte, eine vollkommen neue Qualität.
    So weit das Auge blickte, schien der gesamte Platz zu wimmelndem, schleimigem, kriechendem Leben erwacht zu sein. Von der schrecklichen Malstrom-Bewegung war nun nichts mehr zu sehen, aber er korrigierte seine Schätzung, was die Anzahl der Kreaturen anging, noch einmal um ein gewaltiges Stück nach oben. Er war plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob es tatsächlich ein Erdbeben gewesen war, was er vorhin gespürt hatte. Die schiere Menge dieser grässlichen Geschöpfe erschien ihm durchaus groß genug, um zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es ihre bloße Annäherung gewesen war, die das Zittern im Boden hervorgerufen hatte.
    »O mein Gott«, murmelte Miss Preussler. Sie war hinter ihn getreten und blickte an seiner Schulter vorbei nach draußen. »Was ist das? Doktor Graves, was sind es für grässliche Kreaturen?«
    »Das weiß ich nicht, Miss Preussler«, antwortete Graves. Er hatte sich wieder gefangen. Das Zittern mühsam unterdrückter Panik war aus seiner Stimme verschwunden, und auch sein Gesicht hatte wieder den gewohnten überheblichen Ausdruck angenommen. »Ich bin Altertumsforscher, meine Liebe, kein Biologe.«
    »Gerade haben Sie gesagt, Sie wüssten …« Miss Preussler räusperte sich, setzte noch einmal neu an und sagte in verändertem Ton: »Nein, machen Sie mir nichts vor. Sie wissen , was das bedeutet.«
    »Ich wollte, es wäre so«, antwortete Graves. »Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich weiß es nicht. Irgendeine Art von Schnecken oder Würmern oder anderes Getier, nehme ich an.«
    »In solch großer Zahl?« Miss Preussler schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht glauben.«
    Es dauerte einen Moment, bis Graves fortfuhr, und als er es tat, meinte Mogens einen sonderbar nachdenklichen, zugleich aber unüberhörbaren Unterton von Besorgnis in seiner Stimme zu vernehmen. »Aber es muss so sein«, antwortete er. »Ich nehme an, das Erdbeben hat sie nach oben getrieben.«
    »Das Erdbeben?«, wiederholte Miss Preussler.
    »Ja«, beharrte Graves. Dann, nach einigen weiteren Sekunden und noch sehr viel leiser, fügte er hinzu: »Oder etwas anderes.«

Obwohl in dem kleinen Zelt gleich zwei Lampen brannten, wurde es nicht richtig hell. Der kalte weiße Schein der beiden Laternen trieb die Dunkelheit zwar zurück, sodass sie sich wie eine Meute verängstigter Ratten in Ecken und Winkeln zusammenkauerte, sich in Ritzen und hinter Steinen verkroch, um Umrisse schmiegte und alle Linien und Kanten mit zusätzlichen, schattenhaften Konturen versah, die sich dem direkten Erkennen entzogen,aber dennoch stets präsent waren und beharrlich gerade an der Grenze des überhaupt noch Wahrnehmbaren kratzten, ein Gefühl wie ein pochender Zahn, den man zwar aus seinem direkten Bewusstsein verdrängen konnte, aber niemals ganz vergessen. Aber sie war da. Sie lauerte dicht hinter der zitternden Grenze, die der fahle Lichtschein markierte, und sie wartete am unteren Ende des Schachtes unmittelbar neben ihnen: eine ganze Welt voller Dunkelheit, die bereit war, sie in sich aufzusaugen und einfach zu verschlingen. Der Gedanke, sich mit nicht mehr als einer lächerlichen Lampe dem Kampf gegen eine Dunkelheit zu stellen, die allumfassend war und vielleicht schon länger währte, als es diese Welt gab, war lächerlich und Angst machend zugleich.
    »Woran denken Sie, Professor?«
    Mogens schrak aus seinen finsteren Überlegungen hoch, aber er benötigte eine Sekunde, um zu begreifen, dass es Miss Preusslers Stimme war, die er hörte, und eine zweite, um zu erkennen, aus welcher Richtung sie kam. Er fragte sich, ob sie diese Frage vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher