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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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mehrmals hatte stellen müssen, bevor der Klang ihrer Stimme durch die Mauer aus Furcht gedrungen war, die er um seine Gedanken errichtet hatte, konnte es aber nicht genau sagen. Mühsam drehte er den Kopf und sah sie an.
    Miss Preussler saß im Schneidersitz auf der anderen Seite des Schachtes, wohl nur durch einen Zufall so weit von ihm entfernt, wie es in dem kleinen Zelt nur möglich war, ohne mit dem Rücken gegen die Plane zu stoßen, und sah ihn voller unübersehbarer Sorge an. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein einfaches Kleid aus robustem Baumwollstoff, schmucklos, aber auch ohne überflüssige Falten oder Zierrat, der sie beim Klettern behindern oder in dem sie sich sogar verfangen konnte, dazu robuste Halbstiefel und einen breitkrempigen Hut, der eher auf eine englische Rennbahn gepasst hätte als zu einer Expedition zum Mittelpunkt der Erde. Eigentlich hätte sie lächerlich aussehen müssen, aber sie tat es nicht, sondern strahlte ganz im Gegenteil eine ruhige Zuversicht aus, die dem Licht, das die beiden Grubenlampenmit einem leisen Zischen verströmten, etwas von seiner Härte nahm.
    »An nichts«, antwortete er mit einiger Verspätung.
    »An nichts?« Miss Preussler schüttelte sanft den Kopf. »Niemand denkt an nichts, mein lieber Professor.«
    »Ich habe nur ein wenig … philosophiert«, antwortete er, leise und nach einem abermaligen Zögern.
    »Lassen Sie mich an Ihren philosophischen Überlegungen teilhaben?«
    Mogens sah flüchtig zum Eingang hin. Wo blieb nur Graves? Er war vor gut zehn Minuten fortgegangen, um nach Tom zu suchen, der sich verspätete, und Mogens ertappte sich nicht zum ersten Mal dabei, Graves’ Rückkehr zugleich herbeizusehnen wie sich beinahe zu wünschen, er würde gar nicht zurückkommen.
    Er musste an etwas denken, was er einmal über Soldaten gelesen hatte, die auf eine große Schlacht warteten. Angeblich, so hieß es, konnten viele von ihnen den Moment des Angriffs gar nicht abwarten, selbst wenn jedermann klar war, dass die wenigsten von ihnen die Schlacht überleben würden. Damals, als er diesen Bericht gelesen hatte, war ihm das absurd vorgekommen, aber nun verstand er es nur zu gut. Nichts war schlimmer als Warten. Selbst wenn man wusste, dass das, worauf man wartete, furchtbar sein würde.
    »Professor?«, sagte Miss Preussler. »Sie wollten mir etwas erzählen.«
    Mogens glaubte nicht, dass sich Miss Preussler wirklich für seine Gedanken interessierte. Aber er spürte die gute Absicht hinter ihrer Frage und schenkte ihr ein kurzes, dankbares Lächeln. »Ich habe über die Dunkelheit nachgedacht«, sagte er.
    »Die dort unten?« Miss Preussler deutete auf die Leiter, die drei Sprossen weit aus dem Schacht herausragte. »Sie ängstigt Sie.«
    »Nein«, antwortete Mogens rasch, aber Miss Preussler ließ diese Antwort nicht gelten.
    »Selbstverständlich fürchten Sie sie«, sagte sie. »Sie wollen es nur nicht zugeben, weil Sie ein Mann sind und in meiner Gegenwart nicht als Feigling dastehen möchten. Aber Mut ohne Furcht ist kein Mut, sondern Dummheit.«
    Mogens lachte leise. »Ich dachte, Sie wollten an meinen philosophischen Überlegungen teilhaben.«
    »Über die Dunkelheit?« Miss Preussler schüttelte heftig den Kopf. »Was gibt es über die Dunkelheit nachzudenken? Wir haben Lampen.«
    Mogens sah in die Richtung, in der die Schatten lauerten. »Sie ist trotzdem da«, sagte er. »Sie ist immer da, Miss Preussler. Sie war sogar das Erste, was war. Das steht sogar in Ihrer Bibel.«
    Miss Preussler zog flüchtig die Augenbrauen zusammen, aber es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass sie an dem Wort »Ihrer« Anstoß genommen hatte. »Doch dann sprach der HERR : Es werde Licht«, antwortete sie tadelnd.
    »Ja, aber dazu musste er eine Bedingung erfüllen«, sagte Mogens. »Er musste sein , verstehen Sie, Miss Preussler? Das ist der Unterschied. Bevor es Gott gab, war nichts. Nur Dunkelheit.«
    »Gott war immer da«, sagte Miss Preussler. »Und er wird immer sein.«
    Mogens war im Grunde nicht in der Stimmung, eine theologische Grundsatzdiskussion zu führen, schon gar nicht mit ihr. Dennoch fuhr er fort: »Das mag sein, Miss Preussler. Aber lassen wir Gott einmal aus dem Spiel …« Er hob rasch und besänftigend die Hand, als sie auffahren wollte. »Ich weiß, dass das Ihrer Meinung nach nicht geht, aber lassen Sie es uns nur für diesen einen Gedanken einmal versuchen – was bleibt dann übrig? Irgendetwas muss sein , damit es Licht

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