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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gesagt – Sie haben ein paarmal das Bewusstsein verloren, und Sie waren vermutlich – mit Verlaub – ein wenig aufgeregt.«
    »Warum sagen Sie nicht hysterisch, wenn Sie es schon meinen?«, fragte Miss Preussler schnippisch.
    »Weil ich es nicht gemeint habe«, erwiderte Graves. Er seufzte. »Miss Preussler, ich habe es längst aufgegeben, Ihnenirgendetwas vormachen zu wollen. Sie sind gegen meinen erklärten Willen hier, und ich habe Ihnen gesagt, dass wir vielleicht nicht in der Lage sein würden, Rücksicht auf Sie zu nehmen; so wenig wie auf irgendeinen von uns. Also lassen Sie es dabei, dass ich Ihren Einwand zur Kenntnis genommen habe. Vielleicht ist das der Weg, den Sie genommen haben, vielleicht auch nicht. Es mag durchaus mehr als einen Weg nach unten geben.«
    Auch in diesem Punkt gab ihm Mogens im Stillen Recht, und auch in diesem Punkt schürten Graves’ Worte sein Unbehagen nur noch. Er fragte sich, was genau Graves unter »unten« verstand.
    Als hätte sie seine Gedanken gelesen, antwortete Miss Preussler: »Sie wissen nicht, was dort unten auf uns wartet, Doktor Graves!«
    »Nein«, bekannte Graves ungerührt. »Aber ich denke, dass wir es herausfinden, wenn wir weitergehen.« Er schüttelte – heftiger – den Kopf, um Miss Preusslers Widerspruch im Keim zu ersticken. »Es ist zu spät, umzukehren«, sagte er, und wie um seinen Worten zusätzliches Gewicht zu verleihen, fuhr er auf dem Absatz herum und stürmte die nächsten Schritte regelrecht dahin, bevor seine Vernunft wieder die Oberhand gewann und er ein etwas gemäßigteres Tempo einschlug, sodass sie zu ihm aufschließen konnten.
    Mogens konnte hinterher nicht sagen, wie lange sie durch diese fast vollkommene Dunkelheit gegangen waren, an deren Rand nur dann und wann ein verschwommener Schatten auftauchte – ein scharfkantiger Dolch aus schwarzer Lava oder Obsidian, der sich trotzig dem unsichtbaren steinernen Himmel über ihren Köpfen entgegenreckte; ein gedrungener Umriss wie ein versteinerter Gnom, der darüber wachte, dass sie nicht vom Weg abkamen; einmal auch ein fast schon filigranes Gespinst, das eher an eine Koralle als an harten Fels erinnerte –, aber vermutlich war es nicht einmal sehr lange. Und obwohl diese Umgebung mit ihrer Dunkelheit, ihren bizarren steinernen Wächtern und den lang anhaltenden, aufs Unheimlichste gebrochenen und verzerrten Echos, dieaus der Dunkelheit zu ihnen zurückkehrten, alles hatte, um selbst das Herz eines tapferen Mannes mit Furcht zu erfüllen, atmete er ganz im Gegenteil innerlich eher auf. Hier unten mochte es unheimlich sein – Mogens konnte nicht einmal die Möglichkeit von der Hand weisen, dass es hier durchaus ernst zu nehmende Gefahren gab, die in der Dunkelheit verborgen auf sie lauerten oder in deren Rachen sie geradewegs hineinmarschierten, ohne es zu ahnen –, und doch war es trotz allem eine vertraute Welt, eine vertraute Angst, nicht dieses grässliche, die Sinne verdrehende Schattenreich, durch das sie am Anfang gekommen waren. Mogens versuchte fast verzweifelt, eine logische Erklärung für diesen unheimlichen Effekt zu finden, und er hatte auch Erfolg damit: Vielleicht war der Treppenschacht mit einem unsichtbaren und geruchlosen Gas gefüllt gewesen, das ihre Wahrnehmungen verzerrte, vielleicht gab es dort eine Anomalie in der Schwerkraft oder einem der anderen Naturgesetze, denen die menschlichen Sinne unterliegen, ohne dass man es im Allgemeinen spürt. Ihm fielen noch mehr, mindestens genauso überzeugende Erklärungen ein – und doch spürte er zugleich, dass keine von ihnen der Wahrheit auch nur nahe kam.
    Endlich verlor sich der zitternde Lichtstrahl vor ihnen nicht mehr in der Dunkelheit, sondern traf auf Widerstand. Noch ein Dutzend Schritte, und sie standen vor einer Felswand, in der sich nicht einmal ein handbreiter Riss zeigte, geschweige denn ein Durchgang.
    »Und jetzt, meine liebe Miss Preussler?«, fragte Graves.
    »Ich sagte doch, dass ich nichts …«, begann sie.
    »Sagen Sie eine Richtung«, fiel ihr Graves ins Wort.
    »Also gut. Rechts.«
    »Gut«, sagte Graves und wandte sich nach links. »Spüren Sie den Luftzug, meine Liebe?«, fragte er, während er bereits losmarschierte, ohne sich auch nur mit einem Blick zu vergewissern, ob sie ihm folgten oder nicht. »Diesen leichten Salzwassergeruch? Ich würde doch vorschlagen, dass wir in seine Richtung gehen, statt uns von ihm zu entfernen.«
    Mogens warf Miss Preussler einen fast flehenden Blick

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