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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Universums stützte, sondern vielleicht waren es gerade Begriffe wie Gut und Böse, Richtig und Falsch, Glaube und Zweifel, die das Universum zusammenhielten, und vielleicht war es kein Zufall, dass seinen Geschöpfen zuerst das Fühlen gegeben wurde und erst dann das Denken.
    Es kostete ihn einige Mühe, diesen Gedanken abzuschütteln und sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
    »Dann sollten wir uns auf den Weg machen«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns bleibt, aber ich fürchte, dass sie so oder so knapp wird.« Er warf Tom bei diesen Worteneinen fragenden Blick zu, auf den er aber auch diesmal wieder nur ein zaghaftes Kopfschütteln zur Antwort bekam. Immerhin setzte sich der Junge als Erster in Bewegung und schlug die Richtung ein, in die Miss Preussler gerade gedeutet hatte, und kaum hatte er die ersten zwei oder drei Schritte getan, da wiederholte sich der unheimliche Effekt, den er gerade schon bei Graves beobachtet hatte: Obwohl Tom nicht schnell ging, schien er sich rasend schnell zu entfernen, als lege er mit jedem Schritt ein Zehnfaches der eigentlich möglichen Entfernung zurück. Mogens beeilte sich, Miss Preussler am Arm zu ergreifen und Tom zu folgen. Irgendetwas sagte ihm, dass ihre Aussichten, einander wiederzufinden, sollten sie sich in dieser unheimlichen, unwirklichen Umgebung aus den Augen verlieren, nicht gerade gut standen.
    Das Gefühl, etwas durch und durch Falsches zu tun, wurde mit jedem Schritt schlimmer, den sie tiefer in die Stadt eindrangen. Noch immer war keine Spur der Bewohner dieser unterirdischen Nekropole zu sehen, und noch immer hörten sie nicht das mindeste Geräusch, und dennoch schnürte das Gefühl, beobachtet, aus unsichtbaren, gierigen Augen belauert und angestarrt zu werden, Mogens mit jedem Schritt mehr den Atem ab. Er wagte es schon längst nicht mehr, auch nur in Richtung der monströsen Pyramide zu sehen, die wie ein steinerer Gott über dieser Stadt thronte, aber es nutzte nichts. Er konnte sich verbieten, dieses groteske Gebilde anzustarren, aber er konnte ihm nicht verbieten, seinerseits sie anzustarren. Der Gedanke war vollkommen absurd, und doch war es ganz genau das, was nicht nur Mogens in diesem Moment fühlte: Es war dieses Gebäude, das sie belauerte. Nichts in ihm oder seiner Nähe, nicht die Kreaturen, die es erschaffen hatten oder auch heute noch bewohnen mochten, sondern dieses entsetzliche … Etwas selbst.
    Sie betraten eine der breiten Alleen, die die Stadt in regelmäßigen Abständen zerteilten und allesamt auf die Pyramide in ihrem Zentrum zustrebten. Ohne es auch nur selbst zu bemerken, hielten sie ganz instinktiv den größten nur möglichen Abstand zu den unheimlichen Gebäuden, die die Straße säumten, sodass sie im Grunde etwas sehr Dummes taten: Sie bewegten sich ohne jegliche Deckung und für jedermann weithin sichtbar genau in der Mitte der Straße. Wenn in diesem Moment auch nur einer der unheimlichen Bewohner dieser Stadt aus seinem Haus trat und zufällig in ihre Richtung blickte, dann musste er sie einfach sehen, dachte Mogens. Und dennoch ging er geradeaus weiter, nahm lieber die Gefahr einer frühzeitigen Entdeckung in Kauf, als sich einem dieser grässlichen Gebilde aus Stein und gemauerter Furcht auch nur eine Sekunde früher zu nähern, als unbedingt nötig war.
    Wieder war es, als hätte Miss Preussler seine Gedanken gelesen; auch wenn die Wahrheit wohl eher die war, dass ihre Überlegungen in die gleiche Richtung gingen wie seine. Sie sah sich in immer kürzeren Abständen und mit deutlich zunehmender Nervosität um und murmelte schließlich: »Ich verstehe das nicht. Wo sind sie alle?«
    »Vielleicht hatte Graves ja Recht mit seiner Vermutung«, antwortete Mogens. »Tom?«
    Er hatte eigentlich gar nicht mit einer Antwort gerechnet. Doch nachdem er einige weitere Schritte getan hatte – und noch immer, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen –, sagte Tom: »Ich weiß es wirklich nicht, Professor. Doktor Graves hat mir nie sehr viel über die Ergebnisse seiner Arbeit erzählt. Ein bisschen hab ich aufgeschnappt und mir das eine oder andere auch zusammengereimt, aber …«
    »Aber du hast es nicht geglaubt, nicht wahr?«, führte Mogens den Satz zu Ende, als Tom nicht antwortete, sondern nur wieder betreten den Blick senkte und die Unterlippe zwischen die Zähne zog, um darauf herumzukauen. »Wie hättest du auch? Ich glaube es ja selbst nicht – nicht einmal jetzt, wo ich es sehe.«
    Tom warf

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