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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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war mit zwei Schritten verschwunden, aufgesogen von der unheimlichen Perspektive dieser verzerrenden Welt. Nur das Geräusch seiner Schritte war noch für einen weiteren Moment zu hören, bevor es ebenfalls erlosch.
    »Um Himmels willen, Professor, so tun Sie doch etwas«, hauchte Miss Preussler. »Halten Sie ihn auf!«
    Aber wie denn? Mogens machte tatsächlich einen halben Schritt in die Richtung, in die Tom verschwunden war, blieb aber sofort wieder stehen. Tom war nicht einfach nur davongelaufen. Er war so spurlos verschwunden, als hätte er niemals existiert. Mogens verspürte ein neuerliches, eisiges Frösteln, als ihm klar wurde, dass er nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, in welche Richtung er davongelaufen war. Vielleicht gab es so etwas wie Richtungen hier unten gar nicht.
    »Lassen Sie ihn, Miss Preussler«, sagte er leise. »Ich glaube nicht, dass wir ihn zurückholen könnten. Selbst wenn wir wüssten, wo er ist.«
    »Wahrscheinlich haben Sie Recht«, pflichtete sie ihm niedergeschlagen bei. »Der arme Junge.« Sie atmete schwer ein und aus, dann drehte sie sich langsam und mit hängenden Schultern wieder zu Mogens um. »Kommen Sie, Professor«, sagte sie. »Hier gibt es noch andere, die unserer Hilfe bedürfen. Suchen wir diese armen Menschen.«

Von all den Schrecken, die er im Innern des Gebäudes befürchtet hatte, wartete kein einziger auf sie, als sie durch das Tor schritten. Die Wirklichkeit war ganz im Gegenteil beinahe enttäuschend, zumindest aber banal: ein rechteckig geschnittener, vollkommen leerer Raum mit hoher Decke, dessen Wände nur sparsam bemalt waren, sich aber in einem denkbar schlechtem Zustand befand. Der Putz war überall in großen, hässlichen Flecken abgeblättert und gab den Blick auf das darunter liegende Mauerwerk frei,das ebenfalls stark beschädigt war. Einer der gewaltigen Balken, die die Decke trugen, war gebrochen, wodurch die gesamte Deckenkonstruktion durchhing und deutlich aus der Waage gerutscht war, worin möglicherweise der Grund für das sonderbar missgestalt wirkende Äußere dieses ganzen Gebäudes zu suchen war. Mogens fragte sich sogar ganz automatisch, ob dasselbe nicht vielleicht auch auf alle anderen Gebäude der Stadt zutraf. War das, was er für den Beweis einer vollkommen fremdartigen, unbegreiflichen Dimension gehalten hatte, am Ende nur profaner Verfall? Er glaubte nicht wirklich an diese Erklärung, konnte sie aber auch nicht ganz von der Hand weisen. Was immer das Geheimnis dieser unterirdischen Stadt auch sein mochte – ob sie nun tatsächlich von Geschöpfen aus dem Bereich des Hundssterns errichtet worden war oder von Menschen dieser Welt –, eines waren sie ganz gewiss: unvorstellbar alt. Niemand hatte bisher eine Stadt untersucht, die fünftausend Jahre alt war, und somit wusste auch niemand, was eine derartige Zeitspanne anzurichten vermochte.
    Noch etwas – gänzlich Unerwartetes – geschah: So sehr ihn der allgegenwärtige Verfall hier drinnen überraschte, so beruhigend wirkte er doch zugleich auf ihn. Der Gedanke, dass letzten Endes nicht einmal diese unheimlichen Zeugnisse einer fremdartigen Kultur der Zeit wirklich trotzen konnten, hatte etwas Versöhnliches. Graves’ Große Alte mochten Götter sein, vom menschlichen Standpunkt aus, aber sie waren sterbliche Götter.
    »Und nun?«, fragte er.
    Miss Preussler fuhr unmerklich zusammen, als Mogens’ Worte die unheimliche Stille durchbrachen. Irgendetwas in der Dunkelheit jenseits des Einganges fing den Klang seiner Stimme auf und warf ihn auf eine Art verzerrt und gebrochen zurück, der viele seiner Überlegungen von soeben ihrer Grundlage beraubte. Echos verändern sich nicht, nur weil das, was sie erzeugten, alt war.
    »Ich bin nicht sicher«, antwortete sie – flüsternd, und das nicht, weil sie Angst hatte, gehört zu werden, vermutete Mogens, sondern um nicht erneut eines dieser Schauder machenden Echos zu erzeugen. »Es ging eine Treppe hinunter. Ziemlich weit«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.
    Statt zu antworten, stellte Mogens seine Lampe ab und begann in den Jackentaschen zu graben, bis er ein Streichholzbriefchen gefunden hatte. An der simplen Aufgabe, die Karbidlampe zu entzünden, wäre er um ein Haar gescheitert. Bisher hatte Tom diese kleinen Pflichten für sie übernommen, und Mogens brauchte fast eine Minute, um die einfache Mechanik zu ergründen, mittels derer er den Glaskolben nach oben schieben konnte, um den Docht zu erreichen. Bei Miss

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