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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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die alten Schriften richtig gedeutet habe, aber nun bin ich sicher. Solange das Tor geöffnet ist, scheinen die Diener zu schlafen. Aber sie werden erwachen, sobald es sich wieder schließt, und wenn wir dann noch hier sind, töten sie uns.«
    »Die Diener?«
    Graves’ Gesicht wurde zu einer hässlichen Grimasse der Ungeduld. »Die Ghoule.« Er machte eine unwillige Handbewegung. »Nenn sie, wie du willst. Wichtig ist, dass sie uns nicht gefährlich werden, solange wir keinen Fehler machen.«
    »Dann wäre jetzt die Gelegenheit, die Gefangenen zu befreien«, sagte Mogens.
    Graves’ Reaktion war ganz genau die, die er erwartet hatte. »Bist du von Sinnen?«, keuchte er. »Uns bleiben vielleicht noch zwei Stunden, allerhöchstens drei! Wir haben keine Zeit für so einen romantischen Unsinn!«
    »Menschenleben zu retten würde ich nicht als romantischen Unsinn bezeichnen«, antwortete Mogens ruhig.
    Graves setzte sichtlich dazu an aufzufahren, riss sich dann aber im letzten Moment wieder zusammen und antwortete erst nach einer spürbaren Pause und mit einem bedauernden Kopfschütteln. »Dein Verhalten ehrt dich, Mogens«, sagte er. »Aber das hier ist jetzt nicht der Moment für große Gesten. Schon gar nicht, wenn sie sinnlos sind.«
    »Menschenleben zu retten ist auch nicht sinnlos«, beharrte Mogens.
    »Wenn man bei dem Versuch scheitert, schon«, antwortete Graves. Er wandte sich nun ganz zu Miss Preussler um und fuhr in noch sanfterem Tonfall fort. »Es tut mir aufrichtig Leid, meine Liebe, aber Tatsache ist, dass diesen Menschen nicht mehr zu helfen ist. Glauben Sie mir, sie waren im gleichen Moment verloren, in dem sie in die Gewalt dieser Geschöpfe geraten sind.«
    »Und woher wollen Sie das wissen?«, fragte Miss Preussler. Ihr Entsetzen über das, was sie hörte, war nun eindeutig größer als ihr Stolz, der es ihr bisher unmöglich gemacht hatte, direkt mit Graves zu sprechen.
    »Ich weiß viel über diese Kreaturen«, gestand Graves. »Es gibt so viel mehr, was ich nicht weiß, aber manches habe ich in den letzten zehn Jahren doch herausgefunden. Die Zeit reicht nicht, um es Ihnen zu erklären, und Sie würden es wahrscheinlich auch gar nicht verstehen – aber glauben Sie mir dies: Diesen bedauernswerten Menschen ist nicht mehr zu helfen. Niemand, der einmal in die Gewalt dieser Wesen gerät, kann gerettet werden.«
    »Niemand?«, wiederholte Miss Preussler spöttisch.
    Graves nickte nur noch einmal, und noch überzeugter. »Sie sind die Erste, die ihnen jemals entkommen ist, soviel ich weiß«, sagte er. »Und ich verstehe es nicht wirklich.«
    »Wo es einmal eine Ausnahme gegeben hat, da kann es auch noch andere geben«, beharrte Miss Preussler. Sie machte eine zornige Handbewegung, als Graves etwas darauf erwidern wollte, und fuhr in hörbar schärferem Tonfall fort. »Genug, Doktor Graves. Sie sind ein Monstrum! Wie können Sie annehmen, ich wäre bereit, auch nur das Leben eines einzigen Menschen zu riskieren, nur um mich mit diesen … Ungeheuern zu treffen? Ich werde diese Gefangenen suchen, und wenn es sein muss, ganz allein!«
    »Und damit alles aufs Spiel setzen?«, fragte Graves. »Wenn Sie die Diener wecken, ist alles vorbei. Dann werden Sie nicht nur die Gefangenen nicht befreien, Sie besiegeln damit auch unser Schicksal.«
    »Dieses Risiko werde ich wohl eingehen müssen«, antwortete Miss Preussler ungerührt.
    »Das kann ich nicht erlauben, fürchte ich«, erwiderte Graves.
    »Und wie wollen Sie mich daran hindern?«, erkundigte sich Miss Preussler in fast freundlichem Tonfall. »Vielleicht mit Gewalt?«
    »Wenn es sein muss«, bestätigte Graves.
    Mogens sagte nichts dazu, aber er tat etwas anderes: Er trat mit einem einzigen, demonstrativen Schritt unmittelbar neben Miss Preussler und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. Graves’ Augen wurden schmal. Er straffte sich. Einen Moment lang versuchte er einfach, Mogens niederzustarren. Als ihm das nicht gelang, warf er einen herausfordernden Blick in Toms Richtung.
    Tom senkte betreten die Augen und sah weg.
    »Mogens, so sei doch vernünftig!« Graves’ Stimme wurde beschwörend, ja, schon beinahe flehend. »Versuch doch wenigstens zu verstehen, wovon ich spreche!«
    »Ich fürchte, ich verstehe dich nur zu gut«, antwortete Mogens traurig.
    »Wohl kaum! Uns bietet sich hier die vielleicht größte Chance, die sich Menschen jemals geboten hat, seit diese Welt existiert. Begreifst du denn nicht, was wir alles von ihnen

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