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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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lernen können? Was sie uns geben können?«
    Mogens sah ihn nur weiter traurig an. Er wusste, dass sie verloren hatten. Dieses Gespräch war vollkommen sinnlos. Statt zu antworten, sah er auf bezeichnende Art auf Graves’ in schwarzes Leder gehüllte »Hände« hinab und schüttelte noch einmal den Kopf.
    »Aber ich muss dorthin!« Graves schrie fast, während er heftig gestikulierend mit beiden Armen auf die monströse Pyramide im Herzen der Stadt deutete. »Verstehst du es denn nicht! Es ist alles genau so, wie es in den alten Schriften beschrieben wird! Und ich habe es gesehen, vorhin, auf dem Plan! Das Tor ist dort, in dieser Pyramide! Und es ist offen!«
    Auch wenn er es im Grunde gar nicht wollte, hob Mogens noch einmal den Kopf und sah in dieselbe Richtung, in die Graves’ schreckliche Hände deuteten. Schon der bloße Anblick des monströsen Bauwerkes bereitete ihm jetzt eine fast körperlich spürbare Übelkeit. Es war, als würde es schlimmer, mit jedem Schritt, den sie sich dieser gemauerten Obszönität näherten. Mogens korrigierte seine Schätzung, was ihre Größe anging, noch einmal um ein gehöriges Stück nach oben, und er fragte sich zugleich, wieso es ihm nicht sofort und auf den ersten Blick aufgefallen war. Diese Pyramide war keine bloße Kopie des Grabmals des Cheops in Gizeh. Es war mit ihr wie mit den Hieroglyphen, dem Boot und allem anderen hier. Dies war das Original, nach dessen Vorbild die großen Pyramiden in Kairo errichtet worden waren. Ihre Größe und Proportionen entsprachen exakt denen der Cheopspyramide, und die vermeintlichen Unterschiede rührten einzig daher, dass all die verstrichenen Jahrtausende diesem Bauwerk nichts hatten anhaben können. Alles war da. Selbst die gewaltige, mit purem Gold bedeckte Spitze, die bei den Pyramiden Ägyptens längst dem Ansturm der Zeit und der Gier der Menschen zum Opfer gefallen war, schimmerte prachtvoll und höhnisch auf sie herab.
    Und zugleich war dieses monströse Etwas so vollkommen anders , so abstoßend und furchteinflößend in all seiner Größe, dass er das Gefühl hatte, zugrunde gehen zu müssen, wenn er es zu lange ansah.
    »Also gut!«, fauchte Graves. »Dann gehe ich eben allein. Ich bin tief enttäuscht von dir, Mogens. Und von dir auch, Tom. Nach allem, was ich für dich getan habe, hätte ich mir etwas mehr Loyalität erhofft.«
    Weder Mogens noch Tom antworteten. Tom drehte sich noch um ein kleines Stück weiter weg und presste die Lippen aufeinander.
    »Ihr wisst ja nicht, was ihr da verschenkt«, murmelte Graves, schüttelte noch einmal den Kopf und drehte sich dann herum, um mit raschen Schritten in Richtung der Pyramide davonzugehen. Mogens wollte ihm nachblicken, aber die verdrehte, sinnverwirrende Fremdartigkeit dieses Ortes spielte ihm abermals einen Streich. Obwohl Graves nicht rannte, schrumpfte seine Gestalt schon nach wenigen Schritten zusammen und entschwand dann gänzlich seinen Blicken.
    »Danke, Tom«, sagte Miss Preussler. Ihre Stimme wurde weich. »Das war sehr tapfer von dir.«
    »Nein«, widersprach Tom. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung der Pyramide, ohne sie indes direkt anzusehen. »Tapfer wär es gewesen, Doktor Graves zu begleiten. Aber das kann ich nicht. Ich geh nicht dahin. Dieser Ort ist böse .«
    Auch Mogens hätte es nicht besser ausdrücken können. Er musste sogar eingestehen, dass Tom in seiner einfachen, direkten Art viel präziser ausgedrückt hatte, was er selbst in einem Sturm komplizierter Gefühle und Gedanken nicht so hatte auf den Punkt bringen können. Alles, was er beim Anblick dieser monströsen Pyramide empfand, lief auf dieses eine, schlichte Wort hinaus, auch wenn es in seiner von Wissenschaft und Logik geprägten Welt eigentlich nichts zu suchen hatte. Sie war böse.
    Mogens war erschüttert von der schlichten Einfachheit dieses Gedankens. Er bedurfte keiner Erklärungen, keiner Begründung und keines Wenn und Aber, denn er enthielt eine fundamentale Wahrhaftigkeit, die keinerlei Zweifel zuließ. Selbst der Wissenschaftler in ihm schwieg, obwohl er noch vor weniger als einer Stunde die Existenz von etwas wie dem absolut Bösen – oder auch Guten – vehement bestritten hätte. Waren dies doch Begriffe aus der Gefühls- und Gedankenwelt des Menschen, die in der rein logisch erklärbaren Welt der Wissenschaft nichts verloren hatten. Aber vielleicht war es genau umgekehrt. Vielleicht war es nicht die Wissenschaft, die als eherner Grundpfeiler das Gefüge des

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