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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Preusslers Lampe war er dann schon deutlich schneller.
    Auch im kalten Licht der beiden Grubenlaternen verlor der Raum nichts von seinem sichtlichen Alter. Mogens entdeckte nirgendwo auch nur eine Spur von Staub – ein weiteres Rätsel, das er vermutlich nie lösen würde –, aber dafür unübersehbare Anzeichen von Verfall. Die Wände waren überall gerissen, und der zerbrochene Tragbalken über ihren Köpfen war nicht allein: Gut die Hälfte der mächtigen Balken, die die Decke trugen, waren mehr oder weniger stark beschädigt. Mogens dachte besorgt an die heftigen Erdstöße zurück, die die Tempelkammer oben verwüstet hatten. Er verstand nicht allzu viel von Statik und Ingenieurskunst, aber er war ziemlich sicher, dass dieses Gebäude einer starken Erschütterung nicht standhalten würde.
    Sie passierten mehrere Türen, die in benachbarte, ebenfalls vollkommen leere Räume von beinahe noch gewaltigeren Dimensionen führten, dann standen sie vor einer weiteren, diesmal geschlossenen Tür. Sie unterschied sich von allem, was sie bisher hier drinnen gesehen hatten, aber der Anblick war Mogens trotzdem nicht neu.
    Sie war kleiner als ihre monströse eiserne Schwester oben in der Tempelkammer und bestand aus grobporigem, im Laufe der Jahrtausende fast zu Stein gewordenem Holz und hatte nur einen und nicht zwei Flügel, und dennoch war die Ähnlichkeit unübersehbar. In ihre Oberfläche waren dieselbenunheimlichen Zeichen und Symbole eingraviert, von denen Mogens nun vollkommen sicher war, dass es sich um nichts anderes als Warnungen handelte, und auch zu ihrer Rechten und Linken erhoben sich zwei monströse, steinerne Wächter: schreckliche Zwitter aus Mensch, Tier und fremdartiger Abscheulichkeit, die ihn – obwohl er sie nicht zum ersten Mal sah – nun bis ins Mark erschreckten.
    »Wie schrecklich«, murmelte Miss Preussler neben ihm. »Welches kranke Hirn denkt sich so etwas aus?«
    »Wahrscheinlich … ist es nur eine Warnung«, sagte Mogens schleppend. Es fiel ihm immer schwerer, dem Anblick dieser grässlichen Geschöpfe standzuhalten – aber vielleicht lag das gar nicht an der detailbesessenen Genauigkeit dieser in Stein gemeißelten, krakenköpfigen Ungeheuer. Obwohl er sich mit schon fast verzweifelter Kraft dagegen wehrte, stieg plötzlich ein anderes Bild aus seiner jüngeren Erinnerung in ihm empor: das eines nahezu identischen, wenngleich kleineren Wesens, dessen Abbild in das schwarze Holz eines Sarkophags hineingeschnitzt worden war …
    »Eine Warnung.« Miss Preussler machte ein sonderbares Geräusch. »Dann sollten wir vielleicht besser darauf hören, wie?«, fragte sie – und trat mit einem entschlossenen Schritt zwischen den beiden gewaltigen Wächterstatuen hindurch, hob ihre Lampe und legte die gespreizten Finger der anderen Hand gegen die Tür.
    Mogens fuhr so heftig zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Für den Bruchteil einer Sekunde war er felsenfest davon überzeugt, dass etwas Schreckliches geschehen würde – etwa dass die unheimlichen steinernen Wächter zu plötzlichem Leben erwachen und sich auf sie stürzen, der Boden sich auftun und die unglückliche Miss Preussler verschlingen oder die sonderbaren Symbole und Linien auf der Tür selbst mit einem Male hervorbrechen und sich wie ein Nest wuselnder Schlangen oder Würmer um sie wickeln würden, um sie zu erdrücken.
    Das Dramatischste, was geschah, war das Herabrieseln einer dünnen Staubfahne …
    Miss Preussler drückte die Tür trotz ihres unzweifelhaft enormen Gewichts ohne sichtbare Anstrengung auf, hob ihre Lampe noch ein kleines Stückchen höher und leuchtete durch den entstandenen Spalt, bevor sie sich wieder zu Mogens herumdrehte und dazu ansetzte, etwas zu sagen. Dann aber zog sie stattdessen nur die Augenbrauen zusammen, legte den Kopf auf die Seite und sah ihn gleichermaßen fragend wie alarmiert an. »Professor?«
    Mogens fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Er konnte nicht antworten. Plötzlich wünschte auch er sich, Toms Gewehr doch genommen zu haben. Nicht, dass er Waffen mit einem Male weniger verabscheut hätte als zuvor, sondern weil es offensichtlich in der Natur des Menschen liegt, sich in Momenten der Gefahr zu verteidigen – und dazu eignete sich eine Waffe nun einmal besser als eine Laterne.
    »Professor?«, fragte Miss Preussler noch einmal, als sie auch nach einigen weiteren Sekunden noch keine Antwort bekam. »Ist alles in Ordnung?«
    Endlich

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