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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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noch atmen konnte.
    »Wir müssen … raus hier«, sagte er hustend. »Der ganze Laden bricht zusammen!«
    Miss Preussler riss sich mit sichtlicher Mühe vom Anblick des sterbenden Ghoul los und starrte ihn an. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber ihre Lippen bewegten sich nur stumm, und vielleicht zum allerersten Mal überhaupt sah Mogens in ihren Augen nicht nur eine vage Furcht, sondern blanke Todesangst. Mit einer sonderbar kühlen Sachlichkeit fragte er sich, was er tun sollte, wenn sie tatsächlich in Panik geriet und möglicherweise etwas Dummes tat. Miss Preussler wog gut doppelt so viel wie er, und wie sie gerade erst an diesem Morgen unter Beweis gestellt hatte, befand sie sich trotz ihres fortgeschrittenen Alters in ausgezeichneter körperlicher Verfassung. Mogens glaubte nicht, dass er ihrer Herr werden konnte, wenn sie die Kontrolle über sich verlor.
    Der gefährliche Moment ging jedoch ebenso schnell vorbei, wie er gekommen war. Das bedrohliche Flackern in ihrenAugen erlosch, und für einen – noch kürzeren – Moment sah sie fast peinlich berührt aus, um ein Haar die Kontrolle über sich verloren zu haben. Dann war auch das vorbei, und sie trat einen Schritt zurück und straffte demonstrativ die Schultern, nur um sogleich wieder näher zu kommen und ihm wortlos die Zündholzschachtel aus der Hand zu nehmen. Mit einem unerwarteten Geschick riss sie eines der Schwefelhölzchen an und hielt es an den Docht ihrer Grubenlampe. Mogens schloss geblendet die Augen. »Sie haben mir lang und breit erklärt, dass diese Stadt seit fünftausend Jahren existiert, Professor«, sagte sie ruhig. »Da wird sie wohl auch noch einige wenige weitere Stunden stehen bleiben.«
    Mogens sparte es sich, ihr zu erklären, dass die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe nicht nur proportional zum Alter dieser Ruinen stieg, sondern mit jedem weiteren Erdstoß regelrecht explodierte. Stattdessen blinzelte er vorsichtig in die Runde, damit sich seine Augen wieder an das grellweiße Licht gewöhnten. Sosehr er sich auch gegen den Gedanken sträubte, Miss Preussler hatte vermutlich sogar Recht, wenn auch aus vollkommen anderen Gründen. Selbst wenn sie den Rückweg auf Anhieb fanden – was Mogens bezweifelte –, würden sie mindestens eine Stunde brauchen, um die Erdoberfläche wieder zu erreichen. Sie hatten gar keine andere Wahl, als dieses schreckliche Risiko einzugehen.
    »Fünftausend Jahre!«, fügte Miss Preussler in tadelndem Ton hinzu. »Wo doch jedermann weiß, dass Gott der HERR die Welt erst vor viertausend Jahren erschaffen hat! Wenn wir hier heraus sind, Professor, dann werden wir ein langes und sehr ernsthaftes Gespräch führen müssen.«
    Mogens fragte sich flüchtig, ob er sich unter diesen Umständen überhaupt wünschen sollte, hier herauszukommen, verscheuchte diesen Gedanken aber als so albern, wie er war, und nahm ihr stattdessen die Streichholzschachtel wieder ab, um auch seine Lampe zu entzünden.
    »Wo ist das Mädchen?«, fragte er.
    Miss Preussler starrte ihn eine halbe Sekunde lang betroffen an, machte »Oh!« und war dann wie der Blitz verschwunden.
    Mogens wartete darauf, dass sich zumindest ein leises Gefühl von Schadenfreude bei ihm einstellte, was aber nicht der Fall war, und schüttelte auch diesen Gedanken ab. Auch seine Lampe brannte mittlerweile und stach einen grellweißen Lichtkegel in die Halle. Im Bereich dieses Lichtes konnte er nun weit besser sehen als zuvor – es war schon erstaunlich, dachte er, wie schnell sich die menschlichen Sinne mit dem beschieden, was sie bekommen konnten, und einem das Gefühl gaben, ausreichend versorgt zu werden. Doch das weiße Licht löschte die mattgrüne Helligkeit dahinter umso gründlicher aus. Träge Staubschwaden bewegten sich lautlos durch den Lichtkegel und gaukelten ihm Bewegung vor, wo keine sein sollte.
    Mogens schwenkte den zitternden Lichtfinger langsam weiter und versuchte, mehr Einzelheiten im hinteren Teil der Halle zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Das wandernde Licht vermittelte ihm nur einen allgemeinen Eindruck von Zerstörung, die noch weitaus schlimmer zu sein schien, als er bisher geglaubt hatte. Der gesamte hintere Teil der Decke schien heruntergebrochen zu sein. Meterdicke steinerne Pfeiler waren geknickt wie Schilfrohre, einfach in Stücke zerborsten, oder ragten wie die Masten versunkener Schiffe aus den versteinerten Wellen eines Schuttozeans. Hunderte, wenn nicht tausende Tonnen von Fels und Steinquadern waren

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