Anubis - Roman
Mogens vermochte nicht zu sagen, was ihn umgebracht hatte, dafür bestand am Schicksal des zweiten umso weniger Zweifel. Er lag in weniger verdrehter Haltung da, sondern war auf die Seite gerollt, und man hätte ihn für schlafend halten können, hätte er nicht in einer gewaltigen, schon halb eingetrockneten Blutlache gelegen, und hätte er noch einen Schädel gehabt. Wo sein Kopf sein sollte, lag ein fast halbmetergroßer Steinquader.
Unsicher ließ sich Mogens neben der erschlagenen Kreatur auf die Knie senken, um sie genauer zu untersuchen, aber er wagte es nicht, sie zu berühren. Obwohl von dem Ghoul ganz gewiss keine Gefahr mehr ausging, flößte er ihm beinahe mehr Angst ein als seine lebenden Brüder ringsum.
Mogens stand wieder auf und legte den Kopf in den Nacken, um zur Decke hinaufzusehen, aus der hier nur einige wenige Steinquader herausgebrochen waren, gerade einmal eine Hand voll, die zum Teil in Stücke zerborsten auf dem Boden verstreut waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese wenigen Trümmerstücke gleich zwei der reglos dahockenden Ghoule tödlich getroffen hatten, war nicht einmal besonders groß. Das Schicksal hatte es nicht besonders gut mit den Schakalköpfigen gemeint.
Vielleicht sogar noch weniger gut, als er bisher angenommen hatte …
Mogens fuhr wie elektrisiert herum, als er ein halblautes, rasselndes Keuchen hinter sich hörte.
Hätte sich der Ghoul tatsächlich auf ihn stürzen wollen, so wäre seine Reaktion hoffnungslos zu spät gekommen. Das Geschöpf plante jedoch nichts dergleichen. Es hatte sich mühsam auf beide Knie und die rechte Hand hochgestemmt und verharrte jetzt zitternd einen Moment lang in dieser Position. Dann kippte es langsam und mit einem abermaligen, dumpfen Stöhnen auf die Seite und erstarrte wieder zur Reglosigkeit.
Mogens’ Herz hämmerte zum Zerspringen. Er hatte panische Angst. Aber nichts geschah. Die Bestie blieb einfach reglos in der gleichen Haltung auf der Seite liegen, in der sie gestürzt war. Manchmal drang ein tiefes, qualvolles Stöhnen aus ihrer muskulösen Brust, und ihre Glieder zitterten ganz leicht, aber sie unternahm keinen Versuch, sich zu bewegen oder gar aufzustehen.
In diesem Moment tat Mogens etwas sehr Mutiges, ja, für seine Verhältnisse geradezu Tollkühnes: Statt sich in Sicherheit zu bringen, so lange er es noch konnte, ging er zu dem Ghoul hinüber und beugte sich behutsam vor, um ihn genauer zu betrachten.
Die Kreatur war ganz eindeutig bei Bewusstsein, und Mogens’ Herz machte einen jähen Satz in seiner Brust, als er dem Blick ihrer unheimlichen Augen begegnete und eindeutiges Erkennen darin las. Der Ghoul war nicht nur bei klarem Bewusstsein, er sah ihn an , und er wusste ganz genau , was er sah!
Dennoch beugte er sich mit klopfendem Herzen noch weiter vor, und ein neuerlicher, noch eisigerer Schauer lief ihm über den Rücken, als er die schreckliche Wunde sah, die in der Seite der Kreatur klaffte. Auch sie musste von einem der fallenden Steine herrühren und nahezu tödlich sein. Und dennoch, trotz der entsetzlichen Schmerzen, die er litt, und der Gewissheit seines sicheren Todes bot der Ghoul sichtlich all seine Kraft auf, um jeden Laut zu unterdrücken und möglichst ruhig zu liegen.
»Professor, was …?« Miss Preusslers Schritte näherten sich rasch und brachen dann ebenso plötzlich wieder ab. »Großer Gott, was ist denn das? «
Es kostete Mogens einige Mühe, seinen Blick von dem sterbenden Ghoul loszureißen und zu ihr aufzusehen. Miss Preussler stand kaum einen Schritt hinter ihm und starrte aus weit aufgerissenen Augen auf die zitternde Kreatur hinab. Sie hatte die Hand vor den Mund geschlagen, wie um einen Schrei zu unterdrücken, und in dem alle Farben auslöschenden grünen Schein, der die Halle erfüllte, wirkte ihr Gesicht noch bleicher und verschreckter.
»Ich glaube fast, Graves hatte Recht«, murmelte Mogens. »Sie scheinen in eine Art … Starre verfallen zu sein. Ich weiß nicht, warum. Aber wir …«
Der Boden erzitterte. Diesmal war es mehr als nur ein kurzes Rütteln, sondern ein harter, dröhnender Schlag, der sie beide um ein Haar von den Füßen gerissen hätte und nicht nur ein lang anhaltendes, stöhnendes Echo in den Wänden ringsum hervorrief, sondern auch einen Hagel – gottlob ausnahmslos kleinerer – Steine und Trümmer von der Decke regnen ließ. Wie durch ein Wunder wurden weder er noch Miss Preussler getroffen. Die Luft war plötzlich so voller Staub, dass er kaum
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