Anubis - Roman
kaum dreißig oder vierzig Schritte von ihm entfernt niedergestürzt. Wenn sich auch in diesem Teil der Kammer Ghoule aufgehalten hatten, als sich die Katastrophe ereignete, so hatten sie nicht die mindeste Überlebenschance gehabt.
Etwas Helles blitzte im vorbeihuschenden Schein der Lampe auf; eine Bewegung, die anders war als der träge Tanz der Staubschleier. Mogens schwenkte den Strahl wieder zurück, und tatsächlich: Unmittelbar am Fuße einer gewaltigen Schutthalde bewegte sich etwas. Hatte doch eines der unheimlichen Geschöpfe die Katastrophe überstanden?
Zögernd trat Mogens näher. Obschon ihm sein logischer Verstand sagte, dass von einem verletzten Ghoul mit großer Wahrscheinlichkeit keine Gefahr ausging, bewegte er sichmit äußerster Vorsicht; schließlich waren waidwunde Raubtiere bekanntermaßen die gefährlichsten.
Es handelte sich jedoch nicht um einen der Schakalköpfigen. Was sich im Licht der starken Karbidlampe träge wand, das war etwas, was Mogens im allerersten Moment an eines der ekelerregenden Schneckenwesen erinnerte, auf die sie oben im Lager gestoßen waren; nur dass es deutlich größer und noch um Einiges unappetitlicher anzusehen war. Niederstürzende Felsbrocken hatten es teilweise zerquetscht, sodass Mogens seine ursprüngliche Größe nur schätzen konnte, doch allein der übrig gebliebene Teil war deutlich größer als eine Männerhand, und der Körper war auch deutlich gegliedert; vielleicht, dass das Geschöpf sogar so etwas wie einen Kopf gehabt hatte. Die Verwandtschaft zu den Schneckenwesen war jedoch unübersehbar. Auch sein Fleisch war durchsichtig, sodass man das hektische Pulsieren sonderbar fremdartig anmutender Organe darunter erkennen konnte.
Mogens hob den Fuß, um die ekelhafte Kreatur vollends zu zerquetschen, überlegte es sich aber dann anders und schwenkte seine Lampe in einem langsamen Halbkreis. Er entdeckte noch mehr der widerwärtigen Geschöpfe, nahezu alle mehr oder weniger schlimm verletzt, dann blieb der tastende Lichtstrahl an einer Hand hängen, die aus den Trümmern ragte.
Einer menschlichen Hand.
Erneut lieferten sich sein Verstand und seine archaischen Instinkte ein ebenso stummes wie verbissenes Duell, während er sich bereits auf die Knie fallen ließ und mit beiden Händen zu graben begann. Wer immer unter dieser Schutthalde lag, hatte keine größere Überlebenschance gehabt als die viel zäheren und robusteren Ghoule, aber das änderte nichts daran, dass unmittelbar vor ihm ein verschütteter Mensch lag.
Mogens begann immer hektischer und rascher zu graben, zerrte Steine und Schutt beiseite und wuchtete Trümmerbrocken weg, die er unter normalen Umständen nicht um einen Millimeter hätte bewegen können. Mit bloßen Händen grub und wühlte er sich tiefer in den Schuttberg hinein, bis er Unter- und Oberarm, Schulter und schließlich einen Teil eines Gesichtes freigelegt hatte. Dann, ebenso plötzlich, wie er zu graben begonnen hatte, ließ er die Arme wieder sinken.
Es gab nichts mehr, was er noch tun konnte. Abgesehen von einer Anzahl eher oberflächlicher Schrammen und Kratzer konnte er keinerlei nennenswerte Verletzungen entdecken, aber die weit offen stehenden Augen der dunkelhaarigen Frau waren leer.
»Da sind wir wieder, Professor«, erklang Miss Preusslers Stimme hinter ihm. »Stellen Sie sich nur vor, dieses arme Kind war doch tatsächlich …«
Sie brach mit einem erschrockenen Laut ab, als sie nahe genug herangekommen war, um zu sehen, was Mogens da gerade ausgegraben hatte, und auch Mogens fuhr beunruhigt zusammen, als er aufblickte und erkennen musste, dass Miss Preussler nicht allein gekommen war. Auch jetzt hatte sich das Mädchen mit beiden Händen an Miss Preusslers Schulter geklammert, und Mogens befürchtete schon das Schlimmste, als es auch die Tote unter den Trümmern entdeckte. Seine Augen und auch sein Gesicht blieben jedoch vollkommen teilnahmslos. Wenn es die Fremde kannte, so bedeutete sie ihm nichts.
Dennoch sagte Mogens rasch: »Vielleicht wäre es besser, wenn …«
Miss Preussler verstand, was er ihr sagen wollte, obwohl er den Satz nicht einmal ganz zu Ende sprach. Mit einer Art sanfter, aber trotzdem nachdrücklicher Gewalt löste sie die Hände des Mädchens von ihrem Oberarm, legte ihm zugleich den Arm um die Schultern und versuchte, es ein kleines Stück zur Seite zu bugsieren, gerade weit genug, damit es den schrecklichen Anblick nicht mehr in aller Deutlichkeit sehen konnte. Das Mädchen wich
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