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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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erwies, denn der Strom an bitterer Galle, die sich unter seiner Zunge sammelte, nahm eher noch zu – und bedeutete Miss Preussler zugleich mit einer entsprechenden Handbewegung, ganz stehen zu bleiben. Er drehte sich nicht zu ihr herum, ging aber erst weiter, als das Geräusch ihrer Schritte tatsächlich verstummt war.
    Er hatte sich nicht getäuscht. Zwar befand sich hinter der Tür keine weitere Höhle, sondern wieder eine Kammer mit sorgsam behauenen und bemalten Wänden, doch war der Raum von gewaltigen Dimensionen. So weit Mogens dies überhaupt erkennen konnte, musste er mindestens dreißig oder vierzig Meter breit und um ein Mehrfaches länger sein.
    Allerdings war dies eine bloße Schätzung, denn der unterirdische Saal war nahezu vollkommen eingestürzt.
    Die Wände waren überall geborsten, wo der Stein unter dem unvorstellbaren Druck nachgegeben hatte, der auf ihn ausgeübt worden war. Die Decke, einst prachtvoll bemalt und von einem wahren Wald meterdicker Steinsäulen gestützt, hing an zahlreichen Stellen durch wie eine viel zu dünne Zeltplane, auf der sich das Regenwasser gesammelt hatte, und schien weiter hinten in der Halle gänzlich niedergebrochen zu sein; genau sagen konnte Mogens das nicht, denn das grüne Licht nahm im gleichen Maße ab, in denen die Spuren gewaltsamer Zerstörung mehr wurden, als hätten die sonderbaren Pflanzen ihre natürliche Leuchtkraft im gleichen Moment eingebüßt, in dem sie gewaltsam von ihrem Untergrund losgerissen worden waren.
    Darüber hinaus wurde seine Aufmerksamkeit fast gänzlich von etwas gefesselt, das ihn zumindest im allerersten Moment noch weitaus mehr erschreckte als die Spuren, die das Erdbeben hinterlassen hatte. Es gab in dieser Halle nicht nur Trümmer …
    Schon in dem kleinen Bereich unmittelbar hinter der Tür, den Mogens genau überblicken konnte, befand sich nahezuein halbes Dutzend Ghoule. Keines der unheimlichen Geschöpfe regte sich. Die meisten kauerten in derselben, nahezu absurd anmutenden Gebetshaltung am Boden wie das erste der unheimlichen Geschöpfe, auf das sie hier unten gestoßen waren, mindestens zwei jedoch lagen auch in seltsam verrenkter Haltung da.
    »Professor?«, fragte Miss Preussler. Ihre Stimme klang beunruhigt.
    »Bleiben Sie da«, antwortete Mogens. »Wenigstens einen Moment.«
    Mit heftig klopfendem Herzen bewegte er sich weiter in den Raum hinein. Er bedauerte jetzt, seine Lampe nicht angezündet zu haben, aber er wagte es zugleich auch nicht, dieses Versäumnis nachzuholen, denn obwohl er die Zündholzschachtel griffbereit in der linken Hand hielt, hätte das bedeutet, den Blick – und sei es nur für eine Sekunde – von den reglos dahockenden Ghoulen zu wenden. Und das wagte er nicht, denn er war aller Logik zum Trotz vollkommen sicher, dass sich die Ungeheuer im gleichen Sekundenbruchteil auf ihn stürzen müssten, in dem er nicht mehr in ihre Richtung sah. Im Grunde war das, was er tat, vollkommener Wahnsinn. Er konnte allein in seiner direkten Nähe sechs, acht, schließlich zehn der unheimlichen Geschöpfe ausmachen, und noch mehr in dem schwächer erhellten Teil des Raumes. Seine Knie zitterten mittlerweile so heftig, dass er Mühe hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Dennoch ging er weiter. Keines der unheimlichen Geschöpfe nahm auch nur Notiz von ihm, obwohl Mogens auch diesmal dieselbe beunruhigende Beobachtung machte wie vorhin: Die Ghoule schienen nicht zu schlafen oder bewusstlos zu sein. Die Augen der grässlichen Geschöpfe standen offen, und er hörte ihre rasselnden, schweren Atemzüge, manchmal auch etwas wie ein Keuchen.
    »Professor?«, drang Miss Preusslers Stimme aus dem Gang hinter ihm. »Ist alles in Ordnung?«
    »Nur einen Moment noch«, antwortete Mogens. Ihm wäre lieber gewesen, sie hätte ihn nicht gezwungen zu reden.Sein Verstand sagte ihm, dass es keinen Unterschied machte, aber das änderte nichts daran, dass er immer fester davon überzeugt war, dass die Ghoule bei der geringsten Unvorsichtigkeit seinerseits aus ihrer sonderbaren Starre erwachen und sich auf ihn stürzen würden. Er zwang sich, seine Furcht zu ignorieren und weiterzugehen. Sein Interesse galt weniger der unerklärlichen Starre, in die die Kreaturen verfallen waren, sondern den beiden anderen Ghoulen.
    Die Geschöpfe waren ohne jeden Zweifel tot. Eines von ihnen lag in so verdrehter und unnatürlich verrenkter Haltung da, dass nicht einmal ein so zäher Organismus wie der seine noch am Leben sein konnte.

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