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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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endgültig aus dem Takt zu kommen und beinahe zu stürzen. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war auch Miss Preussler nahezu aus dem Lichtkegel seines Scheinwerfers verschwunden, und vermutlich hätte er sie binnen weniger Momente endgültig aus den Augen verloren, wäre sie nicht plötzlich stehen geblieben. Ihr Lichtstrahl hörte auf, hektisch hin und her zu tanzen, und richtete sich auf einen Punkt, den Mogens nicht einsehen konnte. Er versuchte, noch schneller zu laufen, kam abermals ins Stolpern und hielt schließlich schwer atmend neben ihr an.
    »Was zum Teufel haben Sie sich dabei ge …?« Der Rest seiner Frage blieb Mogens buchstäblich im Hals stecken, als er sah, wohin der Schein ihrer Grubenlampe fiel.
    Unmittelbar vor Miss Preussler war die Hallendecke vollends zusammengebrochen, aber ein kleines Stück neben ihr ragte der mannshohe Rest einer zerborstenen Säule aus dem Schutt, die zumindest einen kleinen Teil davon wie durch ein Wunder noch gehalten hatte, sodass ein unregelmäßig geformter, vielleicht zwei Meter hoher Hohlraum darunter verblieben war.
    Er war zur Todesfalle geworden. Mogens zählte auf Anhieb mindestens ein halbes Dutzend Gestalten, die mit zerschmetterten Gliedmaßen und Körpern in ihrem Blut dalagen. Mogens nahm an, dass sich die Frauen – es waren ausnahmslos Frauen, soweit er das auf den ersten Blick beurteilen konnte – hierher geflüchtet hatten, als der Saal rings um sie herum zusammenzustürzen begann. Der stehen gebliebene Pfeiler hatte sie davor bewahrt, von der Decke zermalmt zu werden, die sich überall rings um sie herum wie der Stempel einer überdimensionalen Presse herabgesenkt hatte, sie aber dennoch nicht retten können. Die Decke war nicht zur Gänze zusammengebrochen, trotzdem aber überall geborsten, sodass ein tödlicher Regen aus Steinquadern und Staub auf das halbe Dutzend unglückseliger Frauen heruntergestürzt war. Das Schicksal hatte ihnen noch zwei oder drei zusätzliche Sekunden geschenkt, aber nur, um sie dann umso grausamer zu treffen.
    »Sind das … die Frauen, die Sie gesehen haben?«, fragte er stockend. Seine Stimme versagte fast.
    »Ich … glaube«, antwortete Miss Preussler ebenso leise und stockend wie er und mit offensichtlich ebenso großer Mühe. Sie fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung über Kinn und Lippen. »Aber ich … bin nicht sicher, ob …« Ihre Stimme versagte endgültig. Mogens konnte ihre Verunsicherung verstehen. Der Tod war sicher schnell über das halbe Dutzend Frauen gekommen, aber nicht leicht. Sie waren buchstäblich gesteinigt worden und boten einen furchtbaren Anblick. Das einzige lebende Wesen in dem asymmetrisch geformten Hohlraum war das dunkelhaarige Mädchen, das zwei oder drei Schritte entfernt auf den Knien saß und sich leicht vor und zurück wiegte. Wenigstens hatte es aufgehört zu schreien.
    »Kümmern Sie sich um sie«, sagte Mogens. »Bitte.« Während Miss Preussler endlich ihre Starre überwand und auf das Mädchen zuging, raffte auch Mogens all seinen Mut zusammen und ließ sich neben dem ersten Leichnam in die Hocke sinken. Die Bewegung wurde von einem leisen, aber durchdringenden Knacken begleitet. Mogens redete sich zumindest ein, dass es seine Kniegelenke waren und nicht die Decke über seinem Kopf.
    Er hatte sich nicht getäuscht. Die Frau war tot, erschlagen von einem der zahllosen Trümmerstücke, die von der Decke gestürzt waren, und dem weit mehr überraschten als qualvollen Ausdruck auf ihrem Gesicht nach zu urteilen schien es zumindest schnell gegangen zu sein. Es fiel Mogens schwer, ihr Alter zu schätzen. Sie war nicht so jung wie das Mädchen, von Miss Preusslers Alter aber ungleich weiter entfernt als von dem seinen, wirkte aber dennoch zugleich auf eine Weise gebrechlich und ausgezehrt, als hätte das Leben mehr von ihr verlangt als von anderen selbst in einer mehrfachen Spanne der Jahre, die sie durchlitten hatte.
    »Professor«, sagte Miss Preussler.
    Mogens ignorierte sie und wandte sich der nächsten Toten zu. Und der nächsten. Und der nächsten.
    Es war vielleicht das Entsetzlichste, was er jemals hatte tun müssen, aber Mogens zwang sich, jeden einzelnen Leichnam zumindest flüchtig zu untersuchen, schon, um sicher zu sein, dass tatsächlich kein Leben mehr in ihnen war – auch wenn er sich gleichzeitig dabei ertappte, beinahe schon panisch auf die Vorstellung zu reagieren, tatsächlich noch eine Überlebende zu finden oder sogar mehr als

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