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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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einen Moment noch«, antwortete Graves. »Ich will zumindest noch eine Aufnahme von dieser Wand machen. Gottlob war ich vorausschauend genug, Tom aufzutragen, meine fotografische Ausrüstung mitzubringen.«
    »Eine Aufnahme?« Mogens hätte das Wort fast geschrien. Erwartete dieser Verrückte tatsächlich, dass sie in aller Ruhe abwarteten, bis Tom die Kamera ausgepackt, mühsam zusammengebaut und alle notwendigen Vorbereitungen getroffen hatte, um eine Fotografie von dieser Wand anzufertigen? Mogens verstand herzlich wenig vom Fotografieren, und es interessierte ihn auch nicht – aber er hatte oft genug zugesehen, um zu wissen, dass so etwas Zeit beanspruchte. Zeit, die sie nicht hatten.
    Graves musste seinen Einwand vorausgesehen haben, denn er hob rasch die Hand, um ihm das Wort abzuschneiden. »Keine Angst – es dauert allerhöchstens zwei oder drei Minuten. Ich habe vorausgesehen, dass wir möglicherweise wenig Zeit haben werden, und alles schon vorbereitet. Tom muss die Kamera nur aufstellen. Gebt der Wissenschaft und dem Rest der Welt wenigstens die Chance, einen einzigen Blick auf dieses Bild zu werfen.«
    Auch wenn uns dieser eine Blick möglicherweise das Leben kostet, dachte Mogens. Aber seltsam – es gelang ihm nicht, die Worte auszusprechen. Trotz aller Angst war da immer noch ein Teil in ihm, der Graves Recht gab. Es war nur ein Bild, das keinen Schaden anrichten konnte. Und es konnte so unendlich wichtig sein.
    Graves deutete sein Schweigen richtig und machte eine ungeduldige Geste in Toms Richtung. »Du hast es gehört, Tom. Bau die Kamera auf. Und beeil dich.«
    »Sie riskieren unser Leben wegen einer Fotografie? «, fragte Miss Preussler ungläubig.
    »Andere riskieren unser Leben wegen einer Schwachsinnigen, die den Rest ihrer Tage im Irrenhaus verbringen wird«, murmelte Graves boshaft, gönnte Miss Preussler aber nicht einmal einen Blick, sondern wandte seine Aufmerksamkeit wieder der bemalten Wand zu.
    »Das ist unglaublich«, flüsterte er. Seine Stimme bebte vor Ehrfurcht, und seine Augen leuchteten in einer Begeisterung, die Mogens erschreckte. »Jetzt verstehe ich es erst. Hätte ich es doch nur vorher gewusst!«
    »Wovon redest du?«, fragte Mogens. Er wollte es nicht. Alles in ihm schrie ihm zu, dass es besser war, nicht mehr mit Graves zu sprechen, nicht unbeabsichtigt vielleicht die eine, entscheidende Frage zu stellen, die diesen launischen Mann endgültig auf die andere Seite des schmalen Grates abrutschen ließ, auf dem er seit ihrer Ankunft hier unten balancierte. Trotzdem wiederholte er, als Graves nicht sofort antwortete: »Hättest du was nur vorher gewusst?«
    »Dieses Bild«, antwortete Graves und begann heftig mit der freien Hand zu gestikulieren. Die Bewegung übertrug sich auf die Lampe, die er in der anderen Hand hielt, sodass das Licht über die Fresken und Bilder zu tanzen begann und sie zu unheimlichem Leben erweckte. »Das hier ist viel mehr als nur ein Bild, Mogens!«, sagte er erregt. »Es ist eine Karte! Eine Karte ihrer Heimat!«
    »Ein Lageplan der Stadt, ich weiß«, antwortete Mogens, aber Graves schüttelte nur noch einmal und noch heftiger den Kopf. Die vermeintliche Bewegung, mit der Licht und Schatten das Bild erfüllten, nahm noch zu. Es war, als beginne tief im Innern der Wand irgendetwas zu erwachen. »Es ist eine Karte der Stadt«, bestätigte er, »zugleich aber eine Karte ihres Heimatstaates, siehst du es nicht?«
    Mogens schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Wie könntest du auch?«, gab Graves mit einem sonderbaren Lächeln zurück. »Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Ich war in der Pyramide. Ich habe Wunder gesehen, die zu schauen du dein Leben geben würdest, Mogens, nur für einen einzigen Blick.« Er trat einen halben Schritt zurück und deutete nun mit ausgestrecktem Arm auf die Wand. »Sie haben ihre Stadt nach dem Vorbild ihrer Heimat gebaut, verstehst du nicht? Das dort …«, er deutete auf die Pyramide, »… ist die Sonne ihrer Heimat. Der Sirius. Dieses Gebäude, und dieses, und dieses hier …«, er deutete auf drei weitere, besonders auffällige Symbole, und Mogens erkannte zu seinem Schrecken in einem davon genau die vermeintliche Mastaba wieder, in der Miss Preussler und er gewesen waren, »… müssen die Welten sein, die den Hundsstern umkreisen. Diese weniger aufwändigen Gebäude hier stehen möglicherweise für kleine Trabanten. Es ist ein Wunder, Mogens! Allein dieses Bild wird unsere Auffassung vom Universum und

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