Anubis - Roman
dem Mogens zwei fast handtellergroße, glotzende Augen über einem schrecklichen Papageienschnabel entgegenstarrten.
»Großer Gott«, flüsterte Mogens.
Graves hob seine Laterne ein wenig höher, sodass auch die Statue auf der anderen Seite des Tores für einen Moment ausden Schatten auftauchte. Die Haltung war eine andere, aber es war die gleiche, absurd-bizarre Kreatur. »Gott?« Graves schüttelte den Kopf. »Vielleicht. Die Frage ist nur, welcher.«
Seine Worte ließen Mogens einen neuerlichen, noch kälteren Schauer über den Rücken laufen. Vermutlich waren sie nur als Bonmot gedacht, vielleicht war es auch seine Art, die Spannung abzubauen, doch sie bewirkte bei Mogens das genaue Gegenteil. Hatte ihm der Anblick der beiden steinernen Kolosse bisher nur Unbehagen bereitet, so erfüllte er ihn nun plötzlich mit Furcht, die mit jedem Atemzug stärker wurde. Es fiel ihm immer schwerer, sich der absurden Vorstellung zu erwehren, von den beiden steinernen Dämonen schweigend und bedrohlich angestarrt zu werden. Trotz der Kunstfertigkeit, mit der sie geschaffen worden waren, bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass sie aus nichts anderem als unbelebtem schwarzem Stein bestanden – und trotzdem wusste irgendetwas in Mogens mit unerschütterlicher Gewissheit, dass sie nur auf einen Anlass warteten, den allergeringsten Fehler, den er begehen mochte, um aus ihrem äonenalten Schlaf zu erwachen und sich auf ihn zu stürzen.
Es gelang ihm mit einiger Mühe, sich dieser durch und durch kindischen Vorstellung zu erwehren, nicht aber, sie ganz zu verscheuchen; der Gedanke blieb, irgendwo tief in ihm, verborgen im verschwiegensten Winkel seiner Gedanken, aber lauernd wie eine Spinne, die geduldig in ihrem Netz saß und auf ihre Gelegenheit wartete, sich auf eine ahnungslose Beute zu stürzen.
»Du hast mich gefragt, warum ich es den anderen nicht gezeigt habe«, fuhr Graves nach einer geraumen Weile, und mit leiserer, fast ehrfürchtig gesenkter Stimme fort. Er sprach auch nicht weiter, doch das wäre auch gar nicht notwendig gewesen. Mogens kannte die Antwort auch so. Dies hier war nicht das, wonach es auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Die Kammer trug unzweifelhaft die Handschrift des alten Ägypten, doch hier wurden nicht nur Ra und Bastet verehrt, und die Gebete derer, die einst hier gekniet haben mochten, hatten längst nicht nur Isis und Osiris gegolten. Und es warenauch nicht nur die unheimlichen Malereien und Reliefs; nicht einmal allein der Anblick der monströsen Torwächter. Hier waren ältere, ungleich blasphemischere Götter verehrt worden, und die widernatürlichen Riten und Zeremonien hatten ihre Spuren hinterlassen wie ein unheimliches Echo, das die Zeiten überdauert hatte und noch immer unhörbar in der Luft hing.
»Und warum … bin ich hier?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Ich dachte, das wüsstest du bereits«, antwortete Graves leise. Er sah ihn einen Herzschlag lang durchdringend an, dann wandte er sich um und trat an das gewaltige Tor heran. Das flackernde Licht seiner Petroleumlampe erweckte die beiden monströsen Wächterstatuen zu scheinbarem Leben, sodass Mogens den unheimlichen Eindruck hatte, die gemeißelten Tentakel sich wie ein Nest wimmelnder Schlangen und Würmer bewegen zu sehen.
Graves hob langsam die Hand, zögerte noch einmal und berührte das mattgraue Metall der Tür dann beinahe ehrfürchtig. Das Licht seiner Sturmlaterne flackerte stärker, und ein Wasserfall kleiner huschender Schatten ergoss sich über die Tür, gefolgt von etwas Anderem, Schlimmeren, das noch nicht ganz erwacht, aber eindeutig im Erwachen begriffen war.
»Es ist dort«, sagte Graves. Seine Stimme war nur ein Flüstern, kaum mehr als ein wispernder Hauch, der sich mit dem Echo längst verklungener, widernatürlicher Gebete und Beschwörungsformeln zu etwas Neuem und zugleich Uraltem verband, das Mogens’ Furcht neue Nahrung gab. »Hinter dieser Tür. Fühlst du es nicht? Ich kann es fühlen. Es ist dort und wartet auf uns.«
Mogens konnte nicht antworten, denn die Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Aber er spürte, dass Graves Recht hatte. Etwas war hinter dieser Tür, etwas Uraltes und unvorstellbar Mächtiges, das seit Äonen eingesperrt und gebunden war, aber nicht machtlos. Schon der bloße Gedanke, dieses Tor zu öffnen und freizulassen, was immer dahinter lauerte, war beinahe mehr, als er ertragen konnte.
»Du … du willst dieses Tor … aufmachen?«, flüsterte er
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