Anubis - Roman
Aufforderung, aber erst nach einem spürbaren Zögern, und es war ihm anzusehen, wie unwohl er sich dabei fühlte. Er drehte den Stuhl wieder richtig herum, bevor er Platz nahm. Mogens war jedoch klar, dass es nicht etwa daran lag, dass Graves den Stuhl mit seiner Berührung irgendwie besudelt hatte. Vielmehr war er selbst es gewesen, der mit seiner Einladung, sich zu setzen – die Tom zweifellos als einen Befehl aufgefasst haben musste –, aus einem harmlosen Gespräch ein Verhör gemacht hatte.
»Doktor Graves hat mir erzählt, dass eigentlich du es warst, der das alles hier entdeckt hat«, begann er.
Tom machte ein verlegenes Gesicht. »Das war nur ein Zufall«, sagte er bescheiden. »Ich war …«
»Auf dem Friedhof, um dort was zu tun?«, fiel ihm Mogens ins Wort.
Tom zog verständnislos die Augenbrauen zusammen. »Zu tun?«
»Es ist ein Friedhof«, erinnerte ihn Mogens. »Graves sagt, du hättest ein Grab geöffnet? Warum?«
»Nicht deshalb, was Sie jetzt vielleicht denken«, antwortete Tom. »Ich hab damals noch für die Geologen gearbeitet.«
»Die Maulwürfe?«
Tom schürzte trotzig die Lippen. »Es war gutes Geld, für ’ne einfache Arbeit. Ich hab nichts Unrechtes getan.«
»Das behauptet ja auch niemand«, sagte Mogens rasch. Der schrille Unterton in Toms Stimme war ihm nicht entgangen. Er durfte nicht vergessen, mit wem er sprach. Toms manchmal überraschende Art täuschte nur zu leicht darüber hinweg, dass er einem sehr einfachen Menschen gegenübersaß. Einfache Menschen reagieren manchmal sehr direkt, wenn sie sich angegriffen fühlen. »Ich war nur überrascht. Der Streit heute Morgen …«, er machte eine Kopfbewegung zur Tür, »… das war auch einer der Geologen, nicht wahr?«
Tom nickte. Sein Gesicht wirkte verstockt. »Es war nicht der erste Streit zwischen dem Doktor und ihnen«, sagte er widerwillig.
»Und worum ging es dabei?«
»Um das, worum es immer geht.« Tom hob die Schultern. »Doktor Graves spricht nicht mit mir darüber, aber ich hab das eine oder andere gehört.« Er zuckte abermals mit den Schultern, wie um klar zu machen, dass das, was er sagte, keineswegs der Wahrheit entsprechen musste. »Sie sind verärgert, dass wir hier sind. Sie glauben, die Ausgrabungen des Doktors stören ihre Arbeit.«
»Die Arbeit eines Geologenteams?«
Ein weiteres Schulterzucken. »Davon versteh ich nichts. Ich weiß nur, dass sie früher oft hier waren. Aber seit der Doktor dieses Gelände gekauft hat, lässt er niemanden mehr hierher.«
»Graves hat all das hier gekauft? «, vergewisserte sich Mogens.
Tom nickte. »Schon vor einem Jahr. Gleich, nachdem er gesehen hat, was ich entdeckt hatte. Alle haben ihn für verrückt gehalten.« Er lächelte flüchtig. »Das Gelände ist vollkommen wertlos. Ein Sumpf, der immer größer wird, und ein alter Friedhof, der allmählich im Boden versinkt. Niemand kann was damit anfangen.«
Etwas an dieser Information weckte Mogens’ Aufmerksamkeit, aber er konnte im ersten Moment selbst nicht sagen, was. Er schob den Gedanken von sich, nahm sich aber vor, Toms Antwort später noch einmal in der gebührenden Ruhe zu überdenken. »Worin bestand deine Arbeit für das Geologenteam?«
»Nichts Besonderes.« Tom hob zum fünften oder sechsten Mal die Schultern. »Ich hab nie verstanden, dass sie mir Geld dafür gezahlt haben. Ich sollte ihnen Bericht erstatten, wie schnell die Gräber im Boden versinken, das ist alles.« Er begann unbehaglich mit den Händen zu ringen und schien schon wieder nicht zu wissen, wohin mit seinem Blick.
»Das ist für einen Geologen zweifellos von großem Interesse«, sagte Mogens. Er schüttelte den Kopf. »Obwohl ich es nicht verstehe. Wer legt einen Friedhof mitten in einem Sumpf an?« Mercers Worte fielen ihm wieder ein. Der Boden hier ist wie ein einziger großer Schwamm.
»Das war nicht immer so«, antwortete Tom. »Der Sumpf wächst.«
»Er wächst?«, wiederholte Mogens zweifelnd. Er war kein Geologe, aber er hatte nie gehört, dass ein Sumpfgebiet wuchs .
Tom nickte jedoch bestätigend. »Er breitet sich aus«, sagte er. »Ich kann mich noch erinnern, wie es früher war. Als Kinder haben wir manchmal auf dem alten Friedhof gespielt. Damals hat der Sumpf drüben auf der anderen Seite des Lagers geendet. Aber seither ist er gewachsen. Einige machen sich sogar Sorgen, dass er eines Tages die Stadt bedrohen könnte, aber ich glaub das nicht.«
Und das – fand Mogens – war wirklich eine Sensation; und
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