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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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endgültigen Untergang der Tempelkammer angekündigt hatte. Die Glühlampe schwankte wild an ihrem Kabel hin und her und tauchte den Gang in hektisch flackerndes Licht und flüchtende Schatten, und überall rieselte Staub; hier und da hörte er auch schon das Poltern erster fallender Steine. Auch dieser Tunnel würde zusammenbrechen, und wenn das geschah, dann war er verloren. In dem schmalen Gang hatte er keine Chance, den fallenden Steinen auszuweichen.
    Für Graves konnte er nichts mehr tun, und er rettete ihn auch nicht, wenn er hier blieb und wartete, bis er ebenfalls zermalmt wurde. Mogens stürmte weiter. Für einen Moment blieb das Zittern und Vibrieren des Bodens hinter ihm zurück, doch dann konnte er spüren, wie das Beben mit einem gewaltigen Satz in seine Richtung sprang, einem wütenden Beutejäger gleich, der sein Opfer entkommen sieht und zur Verfolgung ansetzte. Die Lampen unter der Decke schaukelten stärker. Irgendwo, nicht sehr weit hinter ihm, krachte etwas mit einem ungeheuren Schlag zu Boden, dann explodierten gleich drei der Glühlampen, die den Gang vor ihm erhellten, in einem grellen Funkenschauer, und Mogens fand sich erneut in fast vollkommener Dunkelheit wieder. Er stürmte trotzdem weiter, blind vor Angst, aber auch in dem absoluten Wissen, keine andere Wahl zu haben, als das Risiko dieses irrsinnigen Spurts durch die Finsternis.
    Natürlich schaffte er es nicht.
    Dieses Mal war das Schicksal tatsächlich grausam genug, ihn sein Ziel nahezu erreichen zu lassen: Vor ihm lag die offen stehende Tür des Geheimgangs. Die Tempelkammer dahinter war unversehrt – zumindest war sie noch hell erleuchtet –, und Mogens mobilisierte noch einmal alle Kräfte zu einem verzweifelten Endspurt.
    Etwas traf seine Brust mit der Gewalt eines Hammerschlages, trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn mit solcher Wucht zurücktaumeln, dass er gegen die gegenüberliegende Wand prallte und zusammenbrach.
    Diesmal war der Schlag so heftig, dass er ihm wirklich für einen Moment das Bewusstsein raubte. Aber es konnte wortwörtlich nur ein Augenblick gewesen sein, denn als er die Augen wieder öffnete, war er noch im Begriff, an der Wand zu Boden zu gleiten. Die Welt rings um ihn herum brüllte und verbog sich, und das unheimliche Knirschen und Mahlen hatte ihn endgültig eingeholt; nur, dass er es viel mehr spüren konnte als hören . Der Korridor brach zusammen.
    Jetzt.
    Mogens stemmte sich keuchend in die Höhe, aber irgendetwas schien mit der Zeit nicht mehr zu stimmen, so als hätte das Beben auch ihr Gefüge beschädigt. Mogens stemmte sich mit der Kraft purer Todesangst in die Höhe, und er war schnell, und dennoch schien alles, was er tat, grotesk langsam zu gehen, als eilten die Geschehnisse ihm so unerbittlich voraus wie ein Schatten. Die Wand, an der er lehnte, begann sich plötzlich zu verbiegen und zu zucken, als wäre sie nur ein kunstvolles dreidimensionales Bild auf dünnem Papier, und Mogens begriff, dass der Stollen unwiderruflich zusammenbrach, eine grausame Falle aus hunderten und aberhunderten Tonnen Fels und Erdreich, die über ihm zusammenschnappte. Es waren vielleicht drei Schritte, die ihn von der rettenden Tür trennten, nur der Bruchteil eines Augenblicks, wäre er nur in der Lage gewesen, sich normal zu bewegen. Aber es war, als wate er durch halb erstarrten Teer.
    Plötzlich erschien eine Gestalt vor ihm. Sie war zu weit entfernt, um ihn retten zu können, und nicht stark genug, dieunzähligen Tonnen Felsgestein aufzuhalten, die sich erbarmungslos auf ihn herabsenkten, aber ihr bloßer Anblick gab Mogens noch einmal neuen Mut: eine widersinnige Hoffnung, die allein durch den Umstand genährt wurde, nicht mehr allein zu sein, sondern ein anderes menschliches Wesen in seiner Nähe zu wissen.
    Nur, dass es kein menschliches Wesen war.
    Mogens erstarrte mitten in der Bewegung und verschenkte die vielleicht unwiderruflich allerletzte Sekunde, die ihm das Schicksal doch noch einmal gewährt hatte, indem er die groteske, verkrüppelt-haarige Kreatur anstarrte, die vor ihm aufgetaucht war. Es war das Ungeheuer, die Bestie aus seinen Albträumen, die Janice geholt hatte und nun gekommen war, um auch seinem Sterben zuzusehen. Sie war deutlich größer, als er sie in Erinnerung hatte, mit grässlichen Klauen und einem Schakalskopf: einer langen Hundeschnauze voller mörderischer Fänge, die Augen glühende Kohlen, die von uralter Bosheit und einer tückischen, funkelnden Intelligenz

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