Anwaltshure 4
meine Vergangenheit endgültig hinter mir lassen.
Nichts anderes zählte mehr.
Ein letztes Mal führte mich der Weg durch Kensington nach Paddington Station. Von Weitem sah ich meine Straße, erinnerte mich an die Männer, die ich hatte kommen und gehen sehen. Manche gleichgültig, manche mit Wehmut.
Mit müden Augen betrat ich meinen Bahnsteig. Ich hatte noch zehn Minuten bis zur Ankunft des Zuges, wenn dieser keine Verspätung hätte. Die Nachtluft ließ mich in meinem dünnen Seidenmantel frösteln und ich schlang die Arme um meinen Körper, als könne ich so die Kälte von mir fernhalten. Um Kälte und Müdigkeit zu vertreiben, begann ich jeweils zwanzig Schritt hin- und zwanzig Schritte zurückzugehen.
Das Auf- und Abgehen ließ mich ruhiger werden und ich war mir sicher, dass es nicht lange dauern würde und ich könnte die Ereignisse des Abends mit einem Schmunzeln betrachten.
»Es musste sein!«
Ich schrak zusammen und drehte mich zu der Stimme um, die ich nur allzu gut kannte.
»Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, dass ich dich so bloßgestellt habe.« Er nahm einen tiefen Lungenzug und blies den Rauch über sich in die Luft.
Derek so nahe bei mir zu haben, versetzte mir einen regelrechten Schock. Was sollte ich sagen? Was konnte ich sagen?
»Außerdem fand ich, es wäre eine gute Gelegenheit, George mal seine Grenzen aufzuzeigen. Dem Puppenspieler die Fäden durchzuschneiden.« Er schnippte die Asche auf den Bahnsteig. Noch einen letzten Zug und die Zigarette flog auf die Gleise.
»Dann ist jetzt wohl der Moment gekommen, um Lebewohl zu sagen«, meine Stimme versagte beinahe.
Reisende sammelten sich an der Bahnsteigkante, der Zug konnte nicht mehr fern sein.
»Ja. Sieht so aus.« Das war wieder jener Derek, den ich in Schottland kennengelernt hatte. Souverän, selbstbewusst.
»Gut«, erwiderte ich und holte Luft, um das Zittern zu unterdrücken, das sich in meiner Stimme breit machte. »Und du? Was machst du jetzt?« Ich quälte einen heiteren Ton in meine Fragen.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich werde wohl zu Laura nach Hause fahren und einen längeren Urlaub mit ihr antreten. Vielleicht kommen wir dann zu dritt wieder nach Hause und können so die Gnade des Puppenspielers zurückgewinnen.«
So genau hatte ich es nicht wissen wollen. Bilder, die mich erschauern ließen, stiegen vor meinem inneren Auge auf.
»Na, dann wünsche ich euch viel Glück. Ihr werdet bestimmt eine wundervolle kleine Familie sein.«
Er nickte. »Ja, sicherlich. Laura freut sich schon sehr auf ein Baby.«
Derek streute Salz in meine Wunden und er wusste es.
Die knarrende, beinahe unverständliche Stimme aus dem Lautsprecher kündigte den herannahenden Zug an.
»Nun … Mein Zug …«, sagte ich mit einem kleinen Lächeln.
»Zeit zum Lebewohlsagen«, wiederholte er meine Worte. Seine Augen fixierten mich und ich wusste, dass ich die Tränen nicht mehr lange beherrschen würde. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Als lägen Knochenfinger dort und drückten mir die Luft ab. Unwillkürlich ging ich einen Schritt auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich wünsch euch alles Gute. Ihr werdet sicher glücklich miteinander.«
Er griff nach meiner Hand. Seine Finger waren kalt und sein Griff fest. »Sicher werden wir das. Und du auch. Es war irgendwie ja auch eine tolle Zeit, die wir hatten …«
Meine Stimme versagte und so konnte ich nichts, als nur Nicken.
Mit einem Windstoß fuhr der Zug ein. Taschen und Koffer wurden aufgenommen. Menschen drängten nach vorn. Nur Derek und ich blieben starr stehen, als hätte jemand unser Bild eingefroren. Würde er nur noch ein einziges Wort sagen oder nicht augenblicklich meine Hand loslassen, dessen war ich mir sicher, würde ich in Tränen ausbrechen. Sie sammelten sich bereits in meiner Kehle. Dennoch war ich wild entschlossen, mir in diesen letzten Momenten, die wir beide miteinander hatten, keine Blöße zu geben. Stark und entschlossen sollte er mich in Erinnerung behalten. Nicht als wimmerndes Häuflein Elend. Heulen konnte ich immer noch im Abteil. Wenn ich allein war. Allein …
Der Zug hielt und die Türen öffneten sich.
Da brach es aus ihm heraus. »Emma! Empfindest du das Gleiche für mich, wie ich für dich?« Seine Augen hetzten über mein Gesicht.
Mein Atem ging unkontrolliert und schmerzte in meiner Kehle. Dieser abrupte Wechsel, dieser getriebene Ton, die hervorgestoßenen Worte – all das brachte mich vollends aus dem
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