Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
einfaches, aber elegantes schwarzes Kleid und darüber einen langen Mantel aus teuer aussehendem Stoff. Der Ausschnitt des Kleids enthüllte einen Teil ihrer weißen weichen Brüste. Ihr Make-up war auffällig, aber sehr sorgfältig und mit Geschmack aufgetragen. Die Farbe ihres elegant frisierten und hochgesteckten Haares changierte zwischen schwarz und blau. Und ihre Beine steckten in einer fast durchsichtigen Strumpfhose und endeten in Stiefeln mit hohen Absätzen.
»Hallo, Seth. Schön Sie zu sehen«, sagte sie und beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen. Genüsslich nahm er den Duft des Lippenstifts und ihrer Haut wahr, als sie sich ihm näherte. Augenblicklich vergaß er alle Eröffnungssätze, die er sich zurechtgelegt hatte. Aber er sah sie bewundernd an. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf und sagte: »Wahnsinn.«
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Darüber musste Apryl lachen. Und sie merkte, dass ihre Anstrengungen sich gelohnt hatten. Sie war ein wenig overdressed, weil sie sich darauf vorbereitet hatte, dass dieser Nachmittag mit Seth zu einem Abend mit Seth werden konnte. So lange konnte es eventuell dauern, sein Vertrauen zu gewinnen. Sie würde vorsichtig beim Trinken sein. Der heutige Abend gehörte Seth. Und sie war nicht gewohnt zu scheitern, wenn sie sich vorgenommen hatte, einen Mann zu beeindrucken.
Sie war so nervös, dass es ihr sogar auf den Magen schlug. Sie würde sich mit einem Glas Wein beruhigen. Kaum hatte sie es angedeutet, lief Seth auch schon los, um ihr eins an der Bar zu besorgen. Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben, seit sie Seth begegnet war. Sie hatte versucht sich abzulenken, indem sie Termine mit Maklern wahrnahm und zu einer ziellosen Shopping-Tour aufbrach. Danach hatte sie sich mit Miles getroffen, dem es noch immer schwerfiel, ihrer Theorie über das Verschwinden von Felix Hessen und der Vernichtung seiner Werke zu folgen. Und als sie erklärte hatte, sie wolle dem noch vorhandenen Einfluss von Hessen im Barrington House nachgehen und Seth aushorchen, war Miles blass geworden und hatte sich schreckliche Sorgen um sie gemacht. Offensichtlich war er sehr enttäuscht davon, dass sie ernsthaft an solche Dinge glaubte.
Aber sie war davon überzeugt, dass Seth die Werke von Hessen im Barrington House gesehen hatte. Tom Shafer hatte sich geirrt: Einige Gemälde mussten überlebt haben und existierten noch immer irgendwo in diesem Gebäude. Vielleicht ja sogar in Apartment Nummer sechzehn. Seth hatte sie entdeckt. Und sie wollte herausfinden, wie ihm das gelungen war. Es war schon unheimlich: Miles hatte sich getäuscht, und die Freunde von Felix Hessen hatten recht.
Es gab keinen Zweifel, dass Seth in seinen Zeichnungen Hessens Themen und Stil aufgegriffen hatte, aber sie zeigten auch deutlich, was aus Hessens Malerei geworden wäre, wenn er weitergearbeitet hätte. Seth war ein begabter Künstler. Er hatte sich Hessens Vision angeeignet – von Ölgemälden, die das Grauen, das auf Hessens übrig gebliebenen Zeichnungen zu sehen war, noch ein ganzes Stück weitertrieben. Miles würde ihr bestimmt glauben, wenn er Seths Arbeiten sah und sie mit den Zeichnungen verglich.
Und wenn sie ganz vorsichtig zu Werke ging, konnte sie Miles vielleicht sogar das Undenkbare zeigen: ein erhaltenes Original. Etwas, das der eigenartige, einsame Nachtportier in diesem fluchbeladenen Haus entdeckt hatte. Oder das ihm von einer Erscheinung Hessens gezeigt worden war. Einem Wesen, das seine Künstlerhand geführt und ihn vielleicht sogar als Komplizen bei der Ermordung der alten Hausbewohner eingespannt hatte. Es fiel ihr schwer, diese schmächtige, introvertierte Gestalt mit einer Gewalttat in Verbindung zu bringen. Aber jemand half dem, was von Hessen übrig geblieben war. Er hatte einen Verbündeten in diesem Gebäude. Jemand stand in Verbindung mit der unklaren, aber deutlich spürbaren Präsenz des Bösen, die dieses Gebäude seit fünfzig Jahren beherrschte. Jetzt, wo Stephen sich vor ihr zurückgezogen hatte, war Seth die Nummer eins auf der Liste ihrer Verdächtigen. Auf irgendeine Art steckte er da mit drin. Gestern Abend hatte er sich verraten. Aber ihr war noch nicht klar, wie und warum er darin verstrickt war. Sie musste mehr Informationen bekommen, bloßes Hörensagen und Vermutungen reichten nicht aus. Was das betraf, hatte Miles durchaus recht.
Seth kam von der Bar zurück, in der Hand ein großes Glas Weißwein. Sie zwang sich zur Zurückhaltung, obwohl sie ihn gern sofort mit Fragen bestürmt
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