Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
denen sie unterworfen waren; an diese angesichts des nackten Terrors weit aufgerissenen Augen und die kaum sichtbaren Lippen, denen sich ein lautloser Schrei größter Verzweiflung entrang.
Er hatte alles immer wieder übermalt, verändert und perfektioniert, bis der beste Winkel und die beste Haltung für jede dieser Gestalten gefunden war. Bis ihre Zähne auf eine geradezu idiotische Weise klapperten und ihre Münder Schreie von sich gaben, die man tatsächlich zu hören glaubte, und die Augen so rot leuchteten, dass der Betrachter das Leid darin körperlich spüren konnte.
Wegen Apryl hatte er seine Anstrengungen an diesem Morgen verdoppelt. Er hatte noch sorgfältiger gearbeitet, Elemente weggenommen, übermalt, verschärft und die dunkelroten und schwärzlichen Schwaden erneuert, aus denen die heulenden, verrenkten Figuren hervorzudrängen schienen. Es war, als müsste er etwas beweisen und eine Ausstellung für ein ihm gewogenes Publikum vorbereiten. Wenn schon seine Zeichnungen ihr gefielen, dann würde sie diese Malereien erst recht zu schätzen wissen.
Sie war nicht in Gefahr. Das konnte nicht sein. Der Junge mit der Kapuze und die Macht in Apartment sechzehn konnten nichts gegen sie haben. Sie war gerade einmal fünf Minuten in diesem Haus gewesen. Und es war nicht nötig, sich länger über das Schicksal von Mrs. Roth und der Shafers Gedanken zu machen. Sie konnte diese Leute nicht besonders gut gekannt haben. Und wenn doch, dann wäre sie mit ihrem Ableben bestimmt einverstanden. Alte Rechungen mussten beglichen werden. Vielleicht wurde er jetzt sogar für seine Dienste belohnt. Sie konnten alles ermöglichen. Zum Beispiel ein hübsches Mädchen auftauchen lassen, wenn man total am Boden war. Eine junge Frau, die seine Arbeit bewunderte und ihn kennenlernen wollte. Jemanden, der alles wieder in Ordnung brachte und ihn aufrichtete. Dieser Kapuzenheini hatte doch so etwas angedeutet. Dass sie ihm »was Süßes spendier’n« wollten.
Durfte er das allen Ernstes glauben? Dass sie ein Geschenk war für all das, was er dem Spiegelzimmer geopfert hatte? Apryl hatte etwas in ihm zum Leben erweckt, das schon allzu lange verschütt gewesen war. Trotz seiner zerzausten und abgezehrten Erscheinung war sie an ihm interessiert. Hatte etwas an ihm bemerkt, zu dem sie sich hingezogen fühlte. Sie hatte sogar von Schicksal gesprochen, in Bezug auf ihr Zusammentreffen und seine Zeichnungen. Eine Verbindung . Und jetzt wollte sie noch mehr von seinen Arbeiten sehen. Wollte mit ihm essen gehen. Mit ihm ausgehen und gemeinsam etwas unternehmen. Und sogar zu ihm nach Hause kommen, um sich seine Gemälde anzuschauen. Das wäre dann der Test. Seine Kunstwerke würden ihr zeigen, was für ein Mensch er war. Und sie würde ihm alles über seinen Meister erzählen, was sie wusste. Und ihm erklären, warum er zurückgekommen war und sich für eine erlittene Schmach rächen wollte. Hatte sie das nicht angedeutet?
Vielleicht war das Töten jetzt ja vorbei, und seine Arbeit konnte weitergehen. Womöglich mit der Sicherheit, die ein Posten als Chefportier mit sich brachte, und einer attraktiven Gefährtin an seiner Seite. Sie konnten alles ermöglichen. Konnten einen in die Knie zwingen, indem sie einem den grauenhaftesten Horror vorführten oder einen ins eisige Nichts warfen, wo man wie Treibholz verloren ging, oder einem Wunder vorführen, denen man staunend zusah. Jetzt würde endlich alles gut werden. Es war seine Belohnung. Das sagte er sich immer wieder und glaubte es sogar für einen kurzen Moment. Es musste sich ja alles zu seinem Vorteil entwickeln, es konnte gar nicht anders sein. Denn er selbst, der ewig Versager, hatte ja überhaupt keine Kontrolle darüber.
Er durfte nicht die Nerven verlieren, wenn sie eintraf. Musste sich zusammenreißen. Ruhig bleiben.
Und da kam sie auch schon. Sie ging langsam und sah sich jedes Haus genau an, auf der Suche nach dem Lokal, in dem sie verabredet waren. Ein angenehmer Schauer erfasste ihn. Sie war schön. Sie kam zu ihm, dem Künstler. O Gott, er war ein Künstler. Endlich, ein Künstler.
Als sie in die Bar stakste, stand er auf, um sie zu begrüßen. Ihr süßer und aufregender Duft betörte ihn. Was ein Parfüm wirklich bewirken kann, merkt man erst, wenn es vom nackten Hals einer schönen Frau ausströmt. Bei dem Klang ihrer Absätze auf dem Holzboden drehte der Barkeeper sich um.
Sie hatte sich eigens für Seth in Schale geworfen. Um ihm zu gefallen. Sie trug ein
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