Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
folgte dem Leben nach dem Ende des Bewusstseins ein neuer Seinszustand, der durch die sinnliche Erinnerung der physischen Überreste existiert – ein Hinweis auf das, was jemand nach seinem Tod werden wird oder eher noch, als was man innerhalb des Vortex gefangen gehalten wird.
Und in dem Kapitel über Hessens Nachahmungen von tierischen und menschlichen Hybriden, die auf diese Phase folgten – »diese groteske Gestalten, verstrickt in Verzweiflung und vor Schmerzen verzerrt, begründeten seinen bescheidenen, aber berüchtigten Nachruhm« – , erfuhr Apryl mehr als ihr lieb war über sein Abrutschen in einen eigenartigen Primitivismus:
Noch immer kontrolliert, ist seine Ausdruckskraft noch nicht ganz frei von dem, was er an der Slade-Akademie über die italienischen Meister gelernt hatte, oder war sich dessen noch nicht bewusst. »Gebeugte, nach einem Gesicht greifende Gestalt«, »Zahnlose Frau, die aus einer Untertasse Tee trinkt« und andere frühe figurative Zeichnungen belegen bereits seine radikale Gegenposition zur traditionellen Ästhetik und den typischen Schönheitsmustern der westlichen Kultur. Dennoch sind sie erst ein kleiner Vorgeschmack auf seine späteren Arbeiten, deren schockierender Gehalt kurz vor seinem Ende besonders deutlich hervortrat. Hier, auf den wenigen erhaltenen Werken seiner späten Phase, zeugen seine Bilder von einer pulsierenden Energie und einem tiefen Wissen um die grundlegende Hässlichkeit der menschlichen Rasse, so wie er sie sah, und der anhaltenden Einsamkeit und vollkommenen Verwirrung, die unsere Existenz ausmachen. Seine Objekte sind kaum noch als jene Menschen zu erkennen, die er auf der Straße, in Cafés, Kneipen und Geschäften beobachtete. Einige Gestalten erscheinen eher wie Hunde als wie Menschen. Andere haben Gliedmaßen, die eher zu jenen Ziegen oder Schakalen passen, die er im Zoo des Regent’s Park zeichnete, und affenähnliche Gesichter. Sie wurden mit sicherer Hand gezeichnet, von jemandem, der sehr genau beobachten konnte, und wirken nicht, als würde jemand einfach nur etwas Ausgedachtes darstellen. Hessen selbst behauptete, dies alles sei genau das, was er nach langer Übung in den Menschen sah, die um ihn herum existierten.
Apryl las weiter, unangenehm berührt von dem Geist, den Hessens Biograf vor ihr ausbreitete. Offensichtlich hatten die Visionen dieses Künstlers einen unheilvollen Einfluss auf Lillian und Reginald gehabt.
Als er begann Gouache, Tinte, Kreide und Wasserfarben zu benutzen, »wurde der Einfluss des Surrealismus und der abstrakten Malerei auf Hessen sichtbar«.
Miles Butler beschrieb die Hintergründe dieser Arbeiten mit einer Detailbesessenheit, die Apryl überhaupt nicht mochte. Sie selbst hatte die Hintergründe der Bilder erst auf den zweiten oder dritten Blick registriert.
Nur halb ausgeschmückte neblige Landschaften, die in eine Art bewegtes Nichts führen, eine Unendlichkeit, die den Rand jedes seiner Bilder ausmacht. Um die dünnen Silhouetten an den Fenstern oder die in Ecken und Löchern hockenden Gestalten, versuchte er, eine unendliche Weite anzudeuten. Nichts ist statisch, alles lebt, wogt, taumelt in einer kalten Leere. Klare Umrisse oder feste Strukturen scheinen nicht vorhanden zu sein auf diesen klaustrophobischen Darstellungen von Gestalten, die in schäbigen Räumen gefangen sind oder sich einsam irgendwelchen, offenbar sich ständig wiederholenden Bewegungen hingeben. Die meisten hocken auf allen vieren da und ähneln Affen oder Puppen, die mit ihren Köpfen unentwegt gegen Mauern stoßen, als wollten sie auf diese Weise ihrem Dasein entkommen.
Also war er einfach bloß verrückt gewesen. Aber das letzte Kapitel über seine Gemälde war viel interessanter für sie. Allerdings war es nicht gerade leicht zu lesen. Sie verzog das Gesicht und versuchte sich zu konzentrieren und vergaß ihr Glas, bis der Wein warm und schal geworden war. Sie blinzelte, während sie versuchte, die Sätze zu verstehen, und las sie mehrmals, um die verschiedenen Informationen miteinander in Zusammenhang zu bringen und den Einfluss des Künstlers auf ihre Großtante zu begreifen:
Warum sollte ein Mann, der sich so lange damit beschäftigt hat, seine Visionen derart perfekt und genau festzuhalten, mit einem Mal damit aufhören? Falls er seine Arbeiten tatsächlich nur als vorbereitende Entwürfe für das große Werk, das er anstrebte, angesehen hatte – die großformatige Darstellung des Vortex in Öl – , ergab es keinen
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