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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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einfach zu viele Leute herum. Es war wohl besser, er würde die Seitenstraßen benutzen. Aber während er noch über den Rückweg nachdachte, bemerkte er eine leer aussehende Bar, die sich im Erdgeschoss eines hässlichen Bürogebäudes aus Beton befand. Vielleicht konnte er darin Schutz finden, sich in eine ruhige Ecke vor einen Heizkörper setzen und einen Whisky trinken.
    Schon spürte er die feurige, belebende Flüssigkeit am Gaumen und in seiner Kehle. Er ging auf die Tür des Lokals zu und blieb davor stehen. Musik drang heraus, und zwei laute Stimmen versuchten, ein anderes Geräusch zu übertönen. Der Gedanke, jetzt einfach einzutreten, machte ihm Angst, als wäre eine derartige Unternehmung mit großen Schwierigkeiten verbunden. Und selbst wenn er es bis zur Theke schaffte, war es fraglich, ob er in der Lage wäre zu sprechen. Nachdem er seinen eigenen Namen im Mantelaufschlag vor sich hingeflüstert hatte, schob er die Tür auf.
    Er fühlte sich, als würde er auf eine hell erleuchtete Bühne treten. Mit einem Mal stand er in grellem Licht, inmitten des Lärms, und das alles machte ihn schwindelig und ängstlich. Er spürte einen Kloß im Hals. Sofort senkte er den Blick und konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um zu verhindern, dass er zwischen den herumstehenden Tischen und Stühlen hinfiel. An der Bar sah er auf, unsicher und mit melancholischem Blick, und wartete darauf, bedient zu werden.
    In der heruntergekommenen Bar befanden sich nur wenige Gäste. Alle hatten sich um einen riesigen Bildschirm versammelt, um ein Fußballspiel anzuschauen. Er war froh, dass sie abgelenkt waren, so konnten sie ihm keine forschenden Blicke zuwerfen.
    Er sah furchtbar aus, das wurde ihm klar, als er sein erbärmliches Gesicht im Spiegel hinter dem Tresen betrachtete. Er war blass, zerknittert, schmutzig und wirkte gedemütigt. Er zuckte zusammen vor Scham. Aber es war ohnehin schon lange her, fast ein Jahr, dass ihm sein Aussehen wichtig gewesen war. Nun sah er deutlich die Folgen von mangelhafter Körperpflege, schlechtem Essen und ungesundem Lebenswandel. Um seinen Mund herum waren tiefe Spuren des Leidens zu erkennen. Seine Augen schienen kleiner geworden zu sein, wirkten hart und waren tief eingesunken in rot geränderte Höhlen. Seine Haut war dünn und trocken wie Papier. Trotzdem wirkte sein Gesicht unnatürlich lebendig. Die einzige Farbe darin schien von geplatzten Äderchen an seinen Wangenknochen zu kommen. Er sah aus wie sechzig, nicht wie einunddreißig. Das war eine Totenmaske. Sein Gesicht drückte Gefühllosigkeit, Verzweiflung, Ekel und den Verlust jeder Hoffnung und jedes Mitgefühls aus. Dies war das einzige wahre Kunstwerk, das er im letzten Jahr geschaffen hatte: eine genaue und lebendige Abbildung des Wesens der Stadt, in der er lebte.
    Er setzte sich an einen Tisch in eine Ecke, weit weg von den anderen Gästen, und mit jedem Schluck Whisky, den er trank, drängte es ihn noch mehr, endlich wegzulaufen. Er nippte hastig an seinem Glas, stellte es nicht ab und hielt es immer dicht vor den Mund. Durch den Alkohol bewegten seine Gedanken sich schneller. Ihm fiel nicht ein einziger Grund ein, warum er noch länger in London bleiben sollte. Vom ersten Tag an war es ein schneller und grausamer Abstieg gewesen. Aus ereignislosen Monaten, die ohne besondere Höhepunkte ineinander übergingen, war ein Jahr geworden, das nichts weiter darstellte als ein langes, trostloses, graues Dahinvegetieren. Ein Jahr, an dessen Ende er kaum noch zivilisiert, fast schon unmenschlich zu sein schien, genau wie alle anderen.
    Aber die ganze Zeit über hatte er nie in Erwägung gezogen, die Stadt zu verlassen. Das war ihm genauso unwahrscheinlich vorgekommen, wie sein Leben grundlegend zu ändern oder seinen allmählichen Niedergang aufzuhalten, wo doch so viele Kräfte gegen ihn arbeiteten. Zwischen seinen Nachtschichten war er kaum zur Ruhe gekommen und nicht in der Lage gewesen, einem Plan zu folgen. Es war einfach nicht möglich, klar zu denken, wenn einem derart viele Gedanken durch den Kopf rasten, so viele Erinnerungen und so viele Szenen, die sich aufdrängten. Der Wirbel in seinem Schädel fesselte ihn an seinen Stuhl oder nagelte ihn auf seinem Bett fest, wo er herumsaß und zu nichts anderem fähig war, als zu rauchen. Vielleicht hatte er die einzige Alternative zu diesem Dasein – die peinliche Rückkehr heim zu seiner Mutter – verdrängt, weil er fest davon überzeugt war, dass es

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