Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Sinn.
Vielleicht hatte der Aufenthalt im Gefängnis seinen beängstigenden Ambitionen ein Ende bereitet. Oder er hatte seine eigenen Werke zerstört. Das war die einzige Erklärung des Autors dafür, dass kein einziges Gemälde von Hessen jemals wieder aufgetaucht war.
Seine Intentionen werden klar in den erhaltenen Skizzen zum Vortex, und genauso deutlich wird, wie frustrierend er die aufwendigen Vorbereitungen empfand, die nötig waren, um ihn mit genügend Informationen bezüglich seiner großen Vision zu versorgen. Aber natürlich begann er zu einem bestimmten Zeitpunkt zu malen. Das kann man als gesichert betrachten. Hessen war viel zu sehr darauf fixiert und viel zu engstirnig, um sich von einer Arbeit ablenken zu lassen, neben der alles andere in seinem Leben zweitrangig geworden war. Ist es denn überhaupt plausibel, dass ein derart monströses Ego mit einer so epochalen Vision nicht weitergekommen ist als bis zu ein paar gezeichneten Skizzen und Gouachen? Sehr wahrscheinlich zerstörte der Künstler selbst seine bedeutendsten Werke.
Tatsächlich konnte er sie aber nicht zerstört haben, denn Lillian und Reginald hatten die Gemälde ja gesehen. Der Verfasser stellte auch die Frage, was Hessen wohl in den vier einsamen Jahren zwischen seiner Entlassung aus dem Gefängnis und seinem Verschwinden getan hatte. Dies waren die beiden verbleibenden Rätsel, die seine Bewunderer wie seine Kritiker in endlosen Debatten nicht hatten klären können:
Es gibt nur wenige Informationen über diese Phase seines Lebens. Sogar vor dem Krieg hatte er dem Publikum vor allem Rätsel aufgegeben. Die wenigen Besucher und Modelle, die Hessen in den Dreißigerjahren in sein Atelier in Chelsea einließ, erzählten widersprüchliche Geschichten. Der Maler Edgar Rowel, der ein Atelier neben dem von Hessen gemietet hatte, berichtete, er habe Gemälde in Hessens Atelier gesehen, die er als »zutiefst ergreifend« empfand.
Im Gegensatz dazu wusste keiner seiner ehemaligen Bekannten aus seiner Zeit an der Slade-Akademie, dass er auch nur eine einzige Leinwand bemalt hätte. Er sprach auch nie davon. Ein Modell namens Julia Swan erklärte hingegen, in seinem Atelier in Chelsea habe es verschlossene Zimmer gegeben, verhängte Rahmen, jede Menge Künstlerutensilien, den Geruch nach frischer Farbe und Terpentin – all das, was zu einem Künstler gehört, der seiner Arbeit nachgeht.
Auch in den Erinnerungen des französischen Malers Henri Huiban wird Hessens Atelier in Chelsea erwähnt. Huiban nahm an, sein Kollege sei ein Bildhauer, weil er zu allen Tages- und Nachtzeiten großen Lärm machte. Und der dem Alkohol verfallene Dichter Peter Bryant, der Hessen in der British Library kennenlernte, setzte das Gerücht in die Welt, es gäbe sehr wohl Gemälde. Er schrieb von »gigantischen Bildern in Felix’ abgedunkelten Zimmern, auf die ich einen kurzen Blick werfen konnte«. Allerdings war Bryant auch dafür bekannt, dass er zu später Stunde im Fitzroy Pub erklärte, er sei die Wiedergeburt eines keltischen Königs, deshalb muss seine Aussage bestenfalls als zweifelhaft angesehen werden.
Riesige, übereinandergestapelte Leinwände, die allerdings verhangen waren und mit der Vorderseite zur Wand gestellt, wurden auch von Brian Howarth erwähnt, einem Bekannten von Hessen, der der British Union of Fascists angehörte und einmal in sein Studio kam, um einige Schriftstücke abzuholen.
Ärgerlicherweise stellte das Buch mehr Fragen, als es beantworten konnte, aber zumindest gab der Autor das zu:
Und wohin ist der Künstler verschwunden? Wie kann ein Mann mit einem derartigen Vermögen und seiner Position sich plötzlich in Luft auflösen?
Aber es gab ja Spuren. Spuren, die rasch verschwanden, während die Zeit voranschritt. So wie Apryl es sah, hatten alle einfach nur versäumt, an den richtigen Orten nachzusehen.
16
Sein Sehvermögen war gestört, er konnte nichts richtig fixieren. Seine Augen zuckten hin und her und nahmen nur Bruchstücke seiner Umgebung auf der Straße wahr. Atemlos und unbeholfen stolperte er über die Pflastersteine, taumelte wie betrunken umher, als wäre er nicht gewohnt, aufrecht zu gehen. Während er verzweifelt versuchte, sich von den anderen Passanten fernzuhalten, wurde er irgendwie gezogen und aus dem Gleichgewicht gebracht und fiel gegen die anderen. Er wurde wütend und wollte schreien.
Er sollte nicht hier in London sein. Er hatte sich selbst dazu verdammt, weil er irgendwelche romantischen
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