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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Geschwätz der Alten gehalten, die Sachen eben, die mit Damals, als ich noch jung war … oder Wir hatten es nicht so gut, wir mussten noch … begannen und im Normalfall mit einem erhobenen Zeigefinger und einem Appell zur Dankbarkeit endeten. Dankbarkeit natürlich gegenüber den Alten, die das fantastische Leben, welches die Kinder heute lebten, mit ihren Opfern erst ermöglicht hatten. Angesichts von Kasis Wunde fielen Alex jetzt die Worte seiner Großmutter ein, denn alles andere, was er da oben jetzt unternehmen würde, ging eben nicht mehr; weit und breit kein Erwachsener, kein Arzt, kein Krankenhaus.
    » Und was sollte ich deiner Meinung nach machen?«
    » Draufpinkeln«, sagte Alex nur und nickte dazu. »Du solltest da draufpinkeln, so hat es jedenfalls meine Großmutter früher gemacht.« Trotz seiner Schmerzen verzog Kasi das Gesicht zu einem Grinsen. Er stellte sich Alex’ Großmutter vor und wie sie auf ihren verletzten Oberarm urinierte. Wie sollte das funktionieren? »Was gibt’s da zu lachen? Ich mein das ernst!«
    » Glaub ich dir, aber meinst du, dass das wirklich was bringt?« Kasi hatte zwar auch schon etwas von Eigenurinbehandlung gehört, seine Mutter hatte ihn, wenn er sich richtig erinnerte, als ganz kleines Kind mal eine Zeitlang mit seinem Urin eingerieben und so auch seine Sonnenallergie wegbekommen, aber das Zeug auf eine entzündete Wunde schütten? »Soll das wirklich helfen?«
    Alex zuckte nur mit den Schultern. »Was weiß denn ich, hab’s noch nie ausprobiert. Aber meine Großmutter. Und die lebt immerhin noch, also kann es auf jeden Fall schon mal nicht schädlich sein. Außerdem ist es das Einzige, was wir im Moment machen können«, sagte Alex.
    » Ich würde es sogar trinken, wenn das da davon weggeht«, sagte Timi und zeigte auf Kasis Arm. »Ehrlich, ich würd’s trinken.«
    » Du hast gut reden.«
    » Auf jeden Fall aber solltest du es sauber machen«, sagte Alex. »Hast ganz schön Dreck in die Wunde gerieben, wahrscheinlich hat es sich deswegen entzündet.«
    » Oder weil Max sich die Zähne wieder mal nicht geputzt hat.«
    Zum Glück hatten sie von Max seit Stunden weder etwas gehört noch gesehen. Bis eben hatte Kasi fast vergessen, dass der, der ihm das angetan hatte, nur ein paar Meter von ihnen entfernt saß und jederzeit hierherstürmen konnte, um Kasimir weiterzuquälen. Wenn ich hier sterbe , dachte Kasimir, dann hat Max mich totgebissen . Die anderen verdursten, ich wurde totgebissen .
    » Los jetzt, Schluss mit dem Geschwafel!« Alex nahm seine noch zur Hälfte gefüllte Flasche, ging zu Kasi und träufelte diesem das Wasser über den Arm. Kasi zuckte zusammen, stöhnte, aber er hielt still und weder Alex noch Timi konnten übersehen, dass ihm die Kühle gut tat. »Ist dein T-Shirt noch einigermaßen sauber?«, fragte Alex. Es hing, wie bei den anderen beiden, um Kasis Hals, während der Arbeit war es Mund- und Nasenschutz. Kasi zog es sich über den Kopf.
    » Na ja, sauber kann man das nicht mehr nennen.« Alex sah sich um, an sich herunter, aber hier gab es weit und breit kein einziges sauberes Kleidungsstück mehr. Was die Kinder am Leib trugen strotzte inzwischen vor Schmutz, die Regenjacken dienten als Schlafunterlagen und befanden sich in keinem besseren Zustand. Aber …
    Alex zückte sein Taschenmesser, klappte es auf und drückte Timi die Lampe in die Hand.
    » Komm mit.«
    Sie gingen zu Rufus’ Grab und ehe Timi etwas sagen konnte, hatte Alex bereits die ersten Steine von dessen Beinen herabgenommen. Auch als Kasi vom anderen Ende des Raumes aus protestierte, arbeitete Alex weiter. Stein um Stein legte er zur Seite, in einem Lichtkegel, der Timis Zittern auf das Grab übertrug, auf Rufus’ weiße Füße, auf eine schwarze Hose. Alex zog sich sein Shirt über Mund und Nase, man wusste schließlich nie, wie so eine Leiche roch oder was aus ihr aufstieg, ob sie giftig war oder so. Nun untersuchte er die Hose, fand, dass das rechte Hosenbein noch ganz passabel aussah und schnitt es ab.
    » Mach die Steine wieder drauf«, sagte er zu Timi, nahm diesem die Lampe aus der Hand und ging zu Kasi. Mit etwas Wasser wusch er das Hosenbein aus, zerschnitt es in breite Streifen und hielt Kasi die Innenseite unter die Nase. »Sauberer bekommen wir es nicht hin. Pinkel drauf und dann wickeln wir es dir um den Arm.«
    Auf Kommando Wasserlassen, das hatte Kasimir noch nie gekonnt und mit absoluter Sicherheit funktionierte es nicht, wenn ihm jemand dabei zusah. Aber gut,

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