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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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diversen Wäschestücken und seinem Pilzkorb befreit hatte. Sie setzten sich, während Seiler die Spuren seiner noch nicht einmal begonnenen Arbeit zur Seite schob.
    » Sie können sich denken, weswegen wir hier sind«, sagte einer der Männer, nicht als Frage gestellt und auch ohne aufzusehen. Er hatte das jetzt schon einige Dutzend Male hinter sich gebracht. Dieser alte Mann noch, dann hatte er seine Liste endlich abgearbeitet. »Ihre Nachbarin, Marianne Probst, sagte uns zwar schon, dass Sie gestern erst von ihr vom Verschwinden der Kinder gehört haben – trotzdem: können Sie einen der Sache dienenden Hinweis geben?«
    Einen der Sache dienenden Hinweis .
    Regen peitschte gegen die Fensterscheibe und Windböen jagten einander ums Haus, rüttelten an allem, was sie zu fassen bekamen. Die Gewitterfront hatte Dämmerung in Seilers Küche geschüttet. Seiler lehnte am Küchenschrank, die einzigen beiden Stühle hatten die Polizisten in Beschlag genommen. Der Frager sah Seiler an. Natürlich, dachte der alte Mann, natürlich hätte er einen solchen Hinweis geben können, aber was er sah und was er hörte, ging niemanden etwas an. Ebenso das, was er dachte.
    » Und was haben Sie vor drei Tagen …« Ein Donnerschlag brachte die beiden Gläser im Küchenschrank zum Klirren und zwang den Polizisten zu einer Pause. »Also, was haben Sie gemacht, als die Kinder verschwanden?«
    » War im Wald«, antwortete Seiler. Jetzt sahen beide Beamten herüber.
    » Das wissen Sie, ohne lange nachdenken zu müssen?«
    » Sie meinen, bloß weil ich Ihr Großvater sein könnte, wüsste ich nicht mehr, was ich so treibe?«
    » Nein, nein«, der Uniformierte hob beide Hände, »verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nur, weil kaum jemand spontan sagen kann, was er vor drei Tagen getan hat, mich eingeschlossen. Wenn Sie mich jetzt fragten, was ich vorgestern zu Mittag gegessen habe – ich wüsste es nicht. Und an manchen Morgen bin ich wirklich froh, wenn ich den Kerl im Spiegel noch einwandfrei identifizieren kann.«
    » Und das ist bei Gott nicht immer der Fall!« Seilers Besucher lachten über ihren Witz und Seiler wartete. Der Regen fiel inzwischen nicht mehr waagerecht, sondern in immer dünner werdenden Fäden fast senkrecht vom Himmel und, wusste Seiler, würde in wenigen Minuten ganz aufhören. Und die Welt würde riechen, als sei sie soeben erst erschaffen worden, als habe alles bis zu diesem Augenblick nur diesem Geruch zugearbeitet und gedient. Die Welt nach einem Gewitterschauer im Sommer – eine reine Welt. Ehrlich.
    » Ich bin jeden Tag im Wald«, sagte Seiler schließlich. »Ich frühstücke gegen sechs, danach bin ich draußen und das an jedem Tag in der Woche und jede Woche im Jahr. Nur wenn so wie heute ein Gewitter aufzieht oder der Wind so stark bläst, dass es gefährlich wäre oder wenn zu viel Schnee liegt, bleibe ich zu Hause, aber das hätte Ihnen die alte Probst eigentlich auch erzählen können.«
    » Hat sie auch.«
    » Und warum fragen Sie dann noch?«
    » Es könnte ja sein, dass Sie auf Ihren Spaziergängen …«
    » Ich arbeite.«
    »… während dieser Arbeit im Wald irgendwas gesehen haben. Haben Sie?«
    » Was?«
    » Etwas gesehen. Können Sie irgendetwas zum Verbleib dieser fünf Kinder sagen?« Der Beamte zog ein Blatt aus seiner Mappe. Seiler musste nicht zum Tisch treten um zu wissen, wer da so brav lächelte: Apfeldiebe!
    Einen der Sache dienenden Hinweis .. . Für einen Augenblick stand Seiler kurz davor, sich von der Reinheit und Ehrlichkeit der Welt da draußen anstecken zu lassen und vom Gänsemarsch der Kinder hinunter zur Steina zu berichten. Er könnte den Beamten erklären, dass sie die ganzen Tage über in einer völlig falschen Gegend gesucht hatten. Aber wie das Gewitter zog auch dieser Augenblick vorüber und Seiler ließ es geschehen. Nein, er wollte mit nichts und niemandem etwas zu schaffen haben, am wenigsten mit diesen Polizisten da. Wenn er jetzt berichtete, würden sie als Nächstes fragen, warum er sich nicht spätestens, als er von der Probst vom Verschwinden der Kinder erfahren hatte, bei ihnen gemeldet hatte. Sie würden ihn vielleicht sogar mit nach Bonndorf aufs Revier nehmen. Er wollte nicht im Mittelpunkt stehen, nicht einmal ganz am Rande. Er wollte außerhalb der Wahrnehmung der Leute bleiben. Was war, wenn sie aufgrund seines Hinweises die Blagen fanden? Leute, die ihn seit Jahren nicht beachtet hatten, würden sich bedanken und Blumen bringen. Und ein Reporter würde

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