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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Graute
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kurzen Augenblick machte es den Eindruck, als würde der Stählerne vor dem Jungen zurückweichen. Dann jedoch schüttelte der Engel entschlossen den Kopf, was ein knirschendes, schabendes Geräusch auslöste, und stieß den Jungen sanft zurück. Danach erhob sich der Engel und griff nach der Waffe. Kein elektrischer Schlag folgte, sehr zu Naphals Leidwesen, der dem Gefiederten dieselbe Erfahrung, die er hatte machen müssen, gegönnt hätte. Stattdessen setzte für kurze Zeit das geheimnisvolle Summen wieder ein, das der Speer verursachte, als der Engel sich zu vergewissern schien, dass mit der Waffe alles in Ordnung war.
    Erst viel später, als Naphal am Rande eines wärmenden Feuer saß, das der Engel entfacht hatte, ließ das Taubheitsgefühl in seinem Körper nach. Der Junge hatte schrecklichen Hunger, und der Engel hatte dies wohl bemerkt und sich auf den Weg gemacht, etwas Essbares zu besorgen. Bislang war er noch nicht zurückgekehrt, und Naphal kam ins Grübeln, ob er überhaupt je wiederkehren würde oder ob er hier allein gestrandet wäre, nachdem er sich dem Engel gegenüber nicht besonders nett verhalten hatte. Das Rauschen riesiger Schwingen in der einbrechenden Dunkelheit wischte jedoch alle Zweifel des Jungen beiseite.
    „Hast du etwas zu essen mitgebracht?“, fragte Naphal leutselig und sah den Engel unschuldig und fragend an.
    Wieder bekam der Junge keine Antwort, sondern zur Bestätigung eine Handvoll Beeren in einem Beutel hingehalten.
    Naphal verzog die Mundwinkel unwillig und erinnerte sich kurz an die Zeit, in der er den Bediensteten in der Villa seiner Mutter diese Mahlzeit vor die Füße geworfen hätte. „Soll das alles sein?“
    Als Erwiderung schlug unweit des Jungen der leblose Kadaver eines Hasen auf die Erde.

    Innerhalb kürzester Zeit war ganz Nürnberg mit der Mobilmachung beschäftigt. Die Gabrieliten funktionierten wie ein gut geöltes Räderwerk. Sowohl in der Stadt als auch in der Ordensfeste liefen alle Vorbereitungen auf Hochtouren. Besonders die gabrielitischen Engel, die auf Geheiß Em Susats bereits Monate und teilweise Jahre zuvor in den Himmel zurückgerufen worden waren, nachdem das Oberhaupt des Ordens beschlossen hatte, dem Edikt des Pontifex Maximus zu widersprechen, brannten darauf, endlich wieder zum Einsatz außerhalb der Ordensgebiete gerufen zu werden.
    Equester hatte alle Hände voll damit zu tun, sich zu vergewissern, dass alles reibungslos vonstatten ging. Sie hatten die Verteidigungsanlagen der Stadt bereits Monate zuvor aktiviert, nachdem sie einen Großteil der Barackenbauten vor den Stadttoren abgerissen und deren Bewohner in andere Gebiete im Umland verbracht hatten. Die Umsiedlung der Ärmsten der Armen hatte beinahe zwei Jahre gedauert und war immer noch nicht vollständig abgeschlossen. In einer Millionenstadt wie Nürnberg fehlte vor allem eines – Zeit. Jeder Prozess benötigte ein Höchstmaß an Vorbereitung und verschlang große Mengen Mannas, und gerade da mangelte es in der Metropole am meisten.
    Zahllose Unruhen und kleinere Scharmützel später hatte man den Ring um die Stadtmauern zumindest so weit lichten können, dass man die gewaltigen Verteidigungsanlagen, die die Gabrieliten bereits Jahre zuvor fertiggestellt und für die Tausende im Namen des Herrn und des Erzengels ihr Leben gegeben hatten, in Betrieb nehmen konnte. Die Türmer im Inneren der Wehrmauern verrichteten ihre Arbeit zu aller Zufriedenheit. Zwar war Equester ein Mann der Tat und glaubte wenig von dem abergläubischen Gerede der Menschen, aber auch er konnte sich der Tatsache nicht entziehen, dass ein solcher Verteidigungsbau nur mit den Opfern zahlreicher Freiwilliger zu bewerkstelligen gewesen war. Kurz vor Abschluss der Bauarbeiten hatten sich die Baumeister in einem großartigen Ritual selbst geopfert, um dem Gesamtprojekt zu Stärke und Beständigkeit zu verhelfen. Die Türmer, wie die Menschen Nürnbergs jene Baumeister später nannten, hatten ihre letzte Ruhe in den gewaltigen Eckbastionen der Wehranlage gefunden, wo sie für alle Zeiten über die Entschlossenheit und den zähen Willen derer wachen sollten, die zu beschützen sie geschworen hatten.
    Der in die Jahre gekommene Gabrielis-Kustos war nicht sicher, ob es eine weise Entscheidung gewesen war, die Stadt in der aktuellen Situation weitestgehend schutzlos zurückzulassen. Die Em verließ sich auf die Verteidigungsanlagen, was er generell nachvollziehen konnte. Die Bollwerke waren nicht zuletzt entstanden, um

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