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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Graute
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Sie alle hatten sich der heiligen Aufgabe verschrieben, die Menschheit in schlechten Zeiten, zu denen diese Tage sicherlich zählten, zu beschützen. Jetzt, wo sie sich am Wendepunkt der Zeiten befanden und die Menschheit an der Klippe stand, waren sie der Wind, der vom Meer her blies und die Menschen davor bewahren würde, über den Rand zu stürzen.
    An diesem Tag würden sie alle dem Himmel und ihrem Erzengel ein Stück näherkommen, schwor Equester seine Auserwählten aufeinander ein. Sie würden nicht mit Kummer und Sorge in den Schlaf gehen, sondern voller Stolz und Tatendrang. Viele würden kein Auge schließen und den Funken weitertragen, bis es auch der letzte Templer in den Reihen der Gabrieliten verstanden hatte. Der Tag, auf den sie ihr Leben lang hingearbeitet hatten, den sie herbeigesehnt und doch gefürchtet hatten, war endlich in greifbare Nähe gerückt.
    Equester blickte voll Stolz in die Runde. In dieser Stunde fühlte er sich überlebensgroß.

    Lâle war aufgegangen, dass es wenig Sinn hatte, mit dem Wanderer zu diskutieren oder sich ihm gar zu widersetzen. Er hatte sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen, die er ihr zuvor erst in die Hand gelegt hatte. All das Gerede um freien Willen hatte sie veranlasst, auf sein Spiel einzusteigen und es mitzuspielen. Leider hatte sie nie gelernt, Spiele auf so hohem Niveau zu spielen. Sie war eine Frau der Tat, keine Rednerin oder Ränkeschmiedin.
    Eines jedoch stand felsenfest. Diesmal würde sie den Weg bis zum bitteren oder wie auch immer gearteten Ende beschreiten. Sie würde diesmal nicht einem Hirngespinst hinterherlaufen und dafür alles, was ihr lieb und teuer war, zurücklassen.
    Bruder Mertin schien sie zu erwarten, als sie ihn im Hauptgebäude des Hospiz ’ aufsuchte, um ihm Lebewohl zu sagen. Er strahlte sie an, als sie den kleinen Raum betrat, in dem der Monach Verbände und medizinische Vorräte in die dafür vorgesehenen Schränke verstaute.
    „Hast du schon das Neueste gehört?“, begann er sofort in geschäftigem Plauderton, „das Heer der Gabrieliten macht sich bereit, um in den Krieg zu ziehen.“
    Die Frau hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen, um diesen Gang auf sich zu nehmen. Alles in ihr verabscheute Gedanken, dem Stift den Rücken zu kehren und Mertin zu verlassen, für den sie unterdessen doch mehr empfand, als sie sich eingestehen wollte. Er war der einzige Mann in ihrem Leben gewesen, bei dem sie sich wirklich wohlgefühlt hatte. Er strahlte eine ungekünstelte Ruhe und Normalität aus, die ihr Geborgenheit und Sicherheit gab. Sie wollte nicht weg von ihm, wagte aber auch nicht, ihn zu bitten, sie zu begleiten. Er würde es sicher nicht verstehen. Sie verstand ja selbst nur einen Bruchteil dessen, was man ihr erzählt hatte.
    „Ah, nein, das wusste ich nicht, gegen wen ziehen sie denn in den Krieg?“ Lâle war insgeheim dankbar für das zwanglose Geplauder. Es gab ihr die Gelegenheit, noch etwas Zeit mit Mertin zu verbringen, ohne ihn verletzen zu müssen.
    „Ich weiß nicht. Muss aber wohl etwas Größeres sein, die ganze Stadt ist in Aufruhr. Hast du die Hörner nicht gehört?“
    Lâle hatte die Hände vor dem Körper gefaltet und rieb nervös die Handflächen aneinander. „Ich werde weggehen.“
    Der schwarzhaarige Raphaelis-Monach hielt mitten in der Bewegung inne, blickte jedoch nicht in Lâles Richtung, als er erwiderte: „Ah, und wann soll ’ s losgehen?“
    Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dieser unterkühlten Reaktion. Sie hatte sich darauf vorbereitet, viel weinen zu müssen, und in der Tat rannen ihr unwillkürlich die Tränen über die Wangen, als sie daran dachte. Sie schluckte schwer und verlagerte ihr Gewicht immer wieder vom einen Fuß auf den anderen. „Das scheint dir nichts auszumachen. Willst du denn nicht wissen, wohin ich gehe?“
    Endlich richtete Mertin sich auf und sah sie an. Er war fast einen ganzen Kopf kleiner als Lâle, was ihn aber keineswegs schmächtig wirken ließ. Man sah dem Mann an, dass er sein ganzes Leben lang körperlich gearbeitet hatte. Seine Arme waren stark, sein Körper war durchtrainiert, wenn auch leicht vornübergebeugt von der täglichen einseitigen Arbeit im Stift. Seine Augen verrieten einen wachen Verstand, den der Monach gerne hinter seiner frechen Art verbarg. „Würde das etwas ändern? Würdest du dann bleiben?“
    Seine Worte trafen sie wie Messerstiche. Er konnte es nicht begreifen. Sie hätte es an seiner Stelle auch nicht begriffen. Aber sie

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