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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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diesen magischen Augen zu lösen.
    »Es stimmt schon, die meisten Orte in der Umgebung sind katholisch. Winningen ist das einzige evangelische Dorf hier in der Gegend«, meinte sie nach einer Weile.
    »Spielt denn der Glaube eine Rolle für dich?« Einen winzigen Moment lang dachte er daran, wie ihn seine Mutter das Beten gelehrt hatte, abends vor dem Schlafengehen. Wie sie mit weichem Gesichtsausdruck die Hände über die seinen legte und hoch an die Decke sah. »Dort oben wohnt unser einziger wahrer Freund«, hatte er ihre leise Stimme im Ohr. »Wenn ich den lieben Gott nicht gehabt hätte, würde es mich nicht mehr geben. Und dich auch nicht.« Dabei hatte sie ihm sanft über die Wangen gestrichen.
    »Nein, nicht so sehr«, beantwortete Hannah seine Frage. »Obwohl der Konfirmationsunterricht ganz in Ordnung war.«
    »Du bist schon konfirmiert?«
    »Ja.« Sie blinzelte etwas unsicher. »Ich bin mit dreizehn konfirmiert worden.«
    »Und wie alt bist du jetzt?«
    »Vierzehn.« Sie sah zu Boden. »Ich weiß, dass ich jünger aussehe.«
    »Das ist es nicht«, sagte er, obwohl er genau dies meinte. »Du wirkst so ... reif.«
    »Ja?« Ein Strahlen huschte über ihr Gesicht. Sie blieb ein wenig unschlüssig stehen. Vielleicht, weil sie noch mehr Komplimente hören wollte.
    »Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns«, sagte sie schließlich. »Das Bad ist gegenüber auf dem Flur. Außer Ihnen benutzt es niemand. Ist das in Ordnung?«
    Er nickte. »Selbstverständlich.«
    »Abendessen ist um sechs.« Sie sah auf die Uhr. »Da haben Sie genug Zeit, schon mal ein wenig die Gegend zu erkunden.«
    »Danke, Hannah. Du bist ein sehr nettes Mädchen.«
    Vielleicht hätte er das nicht sagen sollen. Nicht mit solch weicher, verräterischer Stimme.
    »Ich bin gern nett.« Spitzbübisch kräuselte sie die Lippen und näherte ihr Gesicht dem seinen. Einen bangen Moment lang glaubte er, sie würde ihn küssen. Mit diesem süßen, herzförmigen Mund. Er wagte kaum zu atmen. Abrupt drehte sie sich um. Hob kurz die Hand zu einem angedeuteten Winken. »Also, bis nachher unten im Esszimmer.«
    Als sie gegangen war, merkte er, dass er am ganzen Körper zitterte.
     

4
    Gemächlich gingen sie die Karmeliterstraße hinunter und bogen in die Rheinstraße ein. Seit etwas mehr als einem Jahr waren Franca Mazzari und Bernhard Hinterhuber ein kollegiales Gespann mit bisweilen synergetischen Zügen. Anfangs war Franca gar nicht glücklich gewesen, dass man sie bei Hinterhubers Einstellung so gänzlich übergangen hatte. Bei Personalentscheidungen durfte man zwar Wünsche äußern, aber niemand war gezwungen, darauf Rücksicht zu nehmen. Das hatte sie schmerzlich zu spüren bekommen. Nach den unerfreulichen Erfahrungen mit Hinterhubers Vorgänger hätte sie viel lieber mit einer Frau zusammengearbeitet. Die Frauenquote bei der Polizei war noch immer erschreckend niedrig – wenn man einmal von den Sekretärinnen oder den Putzfrauen absah. Grundsätzlich hielt Franca Frauen für die besseren Polizisten. Doch mit dieser Meinung stand sie so ziemlich allein auf weiter Flur. Was hatte sie sich den Mund fusselig geredet. Aber trotz allen Intervenierens hatte sie nicht verhindern können, dass Bernhard Hinterhuber den zweiten Schreibtisch in ihrem kleinen Büro bezog. Seitdem hatte sie ihn täglich in Sichtweite vor sich.
    Auf solch einen Musterknaben kann ich wahrlich verzichten, war ihr erster Gedanke gewesen. Der kann sich seine tadellosen Zeugnisse sonst wohin stecken. Sie betrachtete ihn als Gegner, als Konkurrenten, als einen, der sich unerbittlich hochgearbeitet hatte und auf ihren Posten schielte. Doch sie würde ihn schon rechtzeitig in seine Schranken weisen. Ihn sich als Partner vorzustellen, schien ihr zu diesem Zeitpunkt undenkbar. Big brother is watching you , dachte sie grimmig, wenn sie seinem undefinierbaren Blick aus der Goldrandbrille begegnete. Ein Bayer, der zwar einigermaßen Hochdeutsch sprach, aber zum Dienst erschien er mit unübersehbar bajuwarischen Attributen wie Hirschknopf-Jackett und Edelweiß-Krawatte. Sie hätte ihn gern gefragt, wo er denn seine Krachledernen gelassen habe, doch diese Bemerkung verkniff sie sich.
    Nicht, dass sie etwas gegen Bayern hatte. Dort ließ es sich vortrefflich Urlaub machen, sofern man die Berge liebte. Auch gegen Männer im Allgemeinen hatte sie nichts Konkretes vorzubringen. Doch im Laufe ihres Berufslebens waren ihr einige dieser Spezies untergekommen, die keinerlei Anstrengung unternahmen,

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