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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wissen nicht zufällig, mit wem sie sich treffen wollte?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das hat sie mir nicht gesagt. Ich habe allerdings auch nicht danach gefragt. Sie war mir ja keine Rechenschaft schuldig.« Er strich sich über den Schnurrbart und warf Irmtraud Lingat einen Blick zu. Sein Mundwinkel zuckte.
    »Wo genau haben Sie sich getrennt? Und wann war das?«
    »Das muss so um zwei, halb drei gewesen sein. Wir sind zusammen durch den Domgarten gegangen. Am Heideberg hat sie sich dann verabschiedet.«
    »Sind Sie danach direkt zurück zum Löwenhof gegangen?«
    »Nein. Ich wollte mich noch ein wenig bewegen.« Er hatte eine sonore Stimme. Eine Tonlage, in der Onkel zu kleinen Kindern sprechen.
    Franca ließ ihn nicht aus den Augen. »Hat Sie jemand gesehen?«
    »Hören Sie auf!«, schrie Irmtraud Lingat mit einem Mal auf. Sie fasste sich an beide Schläfen. »Wieso reden Sie so mit ihm? Das hört sich ja an, als ob sie Herrn Kilian verdächtigen. Dabei sagten Sie doch, dass es ein Unfall war.«
    »Es tut mir leid, wenn das so klingen sollte«, sagte Franca steif. »Bis jetzt ist weder erwiesen, dass es sich um einen Unfall handelt, noch dass es sich nicht um einen Unfall handelt. Wir müssen herausfinden, was genau Hannah in ihren letzten Lebensstunden unternommen hat. Und mit wem sie zusammen war. Erst dann können wir wissen, was passiert ist. Wenn Herr Kilian tatsächlich derjenige war, mit dem Hannah zuletzt zusammen war, dann sind solche Fragen einfach notwendig.«
    Der Mann zeigte sich verständnisvoll. »Das verstehe ich vollkommen. Und wenn ich kann, helfe ich Ihnen selbstverständlich.«
    »Hätten Sie ein Foto von Hannah? Ein möglichst aktuelles«, wandte sie sich an Irmtraud Lingat.
    »Wir haben in letzter Zeit nicht so oft Fotos gemacht«, antwortete die Frau. »Ich weiß nicht, wann das letzte aufgenommen wurde.«
    »Da kann ich Ihnen vielleicht aushelfen«, sagte der Mann zuvorkommend. »Ich habe bei meinen Exkursionen viel fotografiert und gefilmt. Weil Hannah mich oft dabei begleitet hat, ist sie auch manchmal mit drauf. Allerdings würde es ein wenig Zeit in Anspruch nehmen, die Bilder herauszusuchen. Ich habe nämlich sehr viel fotografiert. Aber bis morgen früh kann ich das gerne tun. Es handelt sich um digitale Aufnahmen. Die könnte ich Ihnen mailen.«
    Seine übertriebene Hilfsbereitschaft wirkt fast so, als habe er ein schlechtes Gewissen, dachte Franca. »Was meinen Sie mit Exkursionen?«, erkundigte sie sich.
    »Herr Kilian ist Schmetterlingsforscher«, erklärte die Dicke mit Stolz in der Stimme. »Er schreibt an einem Buch.«
    »Dann sind Sie Biologe?«, wollte Franca wissen.
    Er nickte.
    »Wo sind Sie beschäftigt?« Bildete sie sich ein, dass er bei dieser Frage ein ganz klein wenig zusammenzuckte?
    »An der Universität«, murmelte er.
    »An welcher Universität?«
    »Ich muss Mama Bescheid sagen.« Irmtraud fuhr sich über die Stirn. »Oh Gott, hoffentlich bekommt sie keinen Herzanfall.« Sie atmete schwer, riss die Arme hoch. Wie zwei lahme Flügel klappten sie wieder herunter. Auf einmal knickte die Frau um. Landete halb auf dem Sofa mit ausgebreiteten Armen und offenen Augen. Wie sie so da lag, erinnerte sie Franca an einen dicken braunen Käfer. Franca biss sich auf die Lippen. Sie konnte sich nicht helfen. Es war eher ein komisches als ein mitleiderregendes Bild.
    »Was geht hier vor?« Eine ältere Dame stand in der Tür. Aufrecht wie ein Ausrufezeichen. Den Kopf mit dem schütteren rotbraun gefärbten Haar vorgestreckt. Lauernd wie ein Geier, der sich auf Aas stürzen will. »Kann mir das bitte mal jemand erklären?«
     

11
    In den Fetthennenpolstern wimmelte es von schwarz behaarten Raupen. Mit einem kaum zu stillenden Hunger krochen sie durch die fleischigen nadelspitzen Blätter und fraßen und fraßen. Doch soviel sie sich auch einverleibten – satt waren sie noch lange nicht. Auf den Rücken trugen sie orange-gelbe Augen. Augen, die den Feind abschrecken sollten. Niemand störte die Raupen, während sie fraßen, sich häuteten und weiter fraßen. Als sie schließlich gesättigt waren, rollten sie sich zu dicken schwarzen Kugeln zusammen. Die Kugeln wiederum verwandelten sich in graue, unscheinbare Hüllen, aus denen schneeweiße Falter schlüpften. Fragile Wesen mit weißen, schwarzgepuderten Flügeln und orangeroten Flecken. All dies geschah im Zeitraffertempo, das die Zeiten ineinander fließen ließ. Ein kleiner Junge hielt ein Bilderbuch in der Hand. Auf

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