Apollofalter
und deren Wasser man nicht auszutauschen brauchte. Blumen, die ewig lebten. Oder ewig tot waren. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man dies betrachtete.
Die dicke Frau sah immer noch freundlich abwartend aus.
»Frau Lingat. Ich bin von der Kriminalpolizei Koblenz.«
»Kripo?« Maßloses Erstaunen. »Aber was ... ist etwas passiert?« Sie runzelte die Stirn.
»Gibt es eine Möglichkeit, Ihre Schwester zu erreichen?«
Die dicke Frau ließ Franca nicht aus den Augen. »Sie sagt uns nie, wo sie ist.«
»Hat sie kein Handy?«
Irmgard Lingat schüttelte den Kopf.
»Wann wird sie ungefähr nach Hause kommen?«
Die Frau hob die runden Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht noch vor Mitternacht, vielleicht auch danach. Das kommt ganz drauf an.«
Franca räusperte sich. «Es tut mir sehr leid, Frau Lingat. Dann sind Sie die Erste, die es erfährt. Oben in den Weinbergen haben wir Ihre Nichte Hannah gefunden. Sie ist tot.«
»Wie?« Die Frau sah aus, als ob sie nicht recht verstünde. Sie lächelte. Es sah dümmlich aus. Als ob Franca etwas gesagt hätte, das sie in keiner Weise etwas anginge. »Wie meinen Sie das?«
»Hannah ist von einer Mauer hinunter in ein Gebüsch gestürzt. Wir wissen noch nicht genau, wie es passiert ist.«
»Nein«, sagte Irmtraud Lingat und zog die Augenbrauen zusammen. Ihr Doppelkinn zitterte. Auf einmal kam Leben in sie. »Nein. Das kann gar nicht sein. Hannah ist doch ...« Sie schüttelte heftig den Kopf. Blinzelte. Überlegte wieder. »Sie meinen ...?«
Langsam schien sie zu begreifen. Franca sah es an dem Entsetzen, das sich in ihren geweiteten Augen einnistete.
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Ein älterer Herr kam herein. Die Frau stürzte sich auf ihn. »Hannah«, schrie sie. »Hannah. Unsere kleine Hannah«, während sie dem Mann in die Arme fiel. Er sah sichtlich verdutzt aus.
Die kreischende dicke Frau hing an ihm und er wusste offensichtlich nicht, wie ihm geschah. Unbeholfen hob er die Arme, hielt sie ein Stück hinter Frau Lingats Rücken in die Luft, als ob er nicht wagen würde, sie zu berühren. »Um Gottes Willen. Was ist denn mit Hannah?«
»Man hat sie oben in den Weinbergen gefunden. Tot.«
In diesem Augenblick ging eine Verwandlung mit dem Mann vor sich. »Nein!«, stieß er mit heiserer Stimme hervor. »Nein, nein.« Wie eine Formel wiederholte er das. »Neinneinnein.« Der Mann sah aus wie ein gehetztes Tier, das mitten im Lauf erstarrte. Tränen liefen ihm über die Wangen. Der gestutzte Schnurrbart über den farblosen Lippen zitterte. Von einer Sekunde zur anderen war er leichenblass geworden.
Der heult, dachte Franca. Ein ausgewachsener Mann, der sich die Augen ausheult. Und ich würde auch am liebsten heulen. Sicher ein naher Verwandter.
»Dürfte ich Sie nach Ihrem Namen fragen?«
Langsam fasste der Mann sich wieder. »Andreas Kilian. Ich bin Gast hier.«
Ein Gast? Und dann diese Bestürzung. Merkwürdig.
Er musste in Francas Gesicht gelesen haben. Und die richtigen Schlüsse gezogen haben. »Entschuldigen Sie, dass ich mich so habe gehen lassen«, sagte er steif. Sein Gesicht wirkte eingefallen. Das schüttere Haar hing in dünnen Strähnen herunter. Wie alt mochte er sein? Mitte Fünfzig? Oder bereits sechzig?
»Ich bin seit ein paar Wochen hier. Das Mädchen ist mir ans Herz gewachsen. Das trifft mich alles ... sehr.« Er kramte ein braun-weiß kariertes Stofftaschentuch aus seiner Hose und schnäuzte sich.
»Was ist passiert?«, erkundigte er sich. »Ein Unfall?«
»Wahrscheinlich ja.« Franca nickte. »Aber wir wissen es noch nicht mit Sicherheit. Wir haben das Gelände abgesperrt. Die Kollegen sind noch dabei, die Umgebung zu untersuchen.« Sie räusperte sich. »Wer von Ihnen hat Hannah zuletzt gesehen?«, fragte Franca und sah die dicke Frau an, die reglos mit hängenden Schultern dastand. Über die teigigen Wangen flossen Tränen. Ab und zu kam aus den Tiefen ein Schluchzer, der ihren mächtigen Körper zum Beben brachte.
»Sie hat mit uns allen zusammen Mittag gegessen«, sagte der Mann. »Nach dem Mittagessen bin ich mit ihr hoch in die Weinberge. Wir sind oft zusammen spazieren gegangen«, schob er sofort eine Erklärung nach, als wolle er durch die Beiläufigkeit dieser Bemerkung die darin enthaltene Brisanz entschärfen. »Unterwegs hat sie dann überraschend einen anderen Weg eingeschlagen. Sie sagte mir, dass sie sich noch mit jemandem treffen wollte. Im Brückstück. Worauf ich mich von ihr verabschiedete.«
»Sie
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