Apollofalter
entschlossen setzte er den Blinker nach links und fuhr die August-Horch-Straße hinauf. Passierte den Ortsausgang und fuhr einem neuen Ziel entgegen.
14
Sie hatte vergessen, dass der Geräuschpegel einer Schule derart hoch war. Franca kämpfte sich durch einzelne Grüppchen, in denen Schüler standen und sie neugierig beäugten. Im Gedränge wurde sie von einem kleinen Knirps angerempelt. Sie entschuldigte sich. Er schaute sie nur abschätzend an.
In einer Ecke wurde geraucht. Die Schüler, die dort in einem Grüppchen zusammen standen, trugen vorwiegend schwarz. Hatten Piercings in Nasenlöchern und in Augenbrauen und starrten sie mit provokantem Gesichtsausdruck an. Was will diese Tussi denn hier? , meinte sie in deren Augen zu lesen.
»Kann mir jemand sagen, wo ich die Direktorin finde?«, fragte sie aufs Geratewohl.
Ein blasser, schlaksiger Junge mit einer Zigarette in der Hand wies vage in eine Richtung.
»Da hinten meinst du?« Sie schaute skeptisch. Als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, sah sie über zahlreiche Schülerköpfe hinweg, wie dort eine ältere Dame gerade einen Streit zwischen einem gedrungenen, türkisch aussehenden Jungen und einem schmächtigen, hochaufgeschossenen Deutschen schlichtete. Beide mochten um die sechzehn, siebzehn Jahre alt sein. Sie bahnte sich einen Weg durch die Schüler.
»Sofort entschuldigst du dich, Mehmet«, hörte sie die Direktorin in resolutem Ton sagen. »So geht’s einfach nicht. Wir sind hier nicht im wilden Kurdistan, merk dir das ein für allemal.«
Die beiden Kampfhähne standen sich inmitten eines Pulks von Schülern gegenüber. In Mehmets Augen lag ein tückisches Glitzern. Die Fäuste hatte er weiter in Boxermanier geballt. Der schmächtige Blonde hielt die Arme in Abwehrhaltung vor seinem Brustkorb.
Mehmet war einen Kopf kleiner als sein hellblonder Mitschüler, den er attackierte. Unwillkürlich fühlte Franca sich bei seinem Anblick an ihren Vater erinnert. Der kleine Italiener, wie er hinter seinem Rücken genannt wurde, und seine brennende Sehnsucht, groß zu sein. Sich diese Größe mit Hilfe von Boxhandschuhen erkämpfen zu wollen. Erst viel später hatte Franca diese Zusammenhänge verstanden.
»Muss ich’s noch Mal sagen?« Der Ton der Direktorin war durchdringend scharf. Ein Ton, der an knirschendes Glas erinnerte. »Oder hättest du lieber eine saftige Strafarbeit?«
Schließlich ließ Mehmet die Fäuste sinken und murmelte etwas, das mit einigem guten Willen als Entschuldigung zu identifizieren war. Die umstehenden Schüler traten einige Schritte zur Seite.
»Was ist passiert?«, wollte Franca wissen.
»Entschuldigung?« Die Direktorin sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. In ihren grauen Augen lag ein überheblicher Ausdruck. Die Herrin der Legion, dachte Franca. Siegessicher, selbstbewusst. Den Feind abwehrend. Sie trug ein rotes Leinenkleid, darüber einen schwarzen Blazer. Das graumelierte Haar hatte sie aufgesteckt.
»Frau Bongartz?« Franca zog ihren Ausweis aus der Jeans-tasche. »Mein Name ist Mazzari.«
Die Frau warf einen Blick auf das Plastikkärtchen. Ihr Gesichtsausdruck wechselte zu plötzlichem Erkennen. »Kommen Sie doch bitte mit in mein Büro. – Und ihr zwei«, wandte sie sich nochmals an die beiden Streithähne, die in respektvollem Abstand einander gegenüber standen, »Ihr vertragt euch jetzt wieder, ist das klar?«
Verhaltenes Gekicher der Umstehenden war die Folge.
Durchdringend verkündete eine Klingel das Ende der Pause.
»Ich verlasse mich auf euch.« Sie machte eine scheuchende Handbewegung.
»Gibt es solche Auseinandersetzungen öfter?«, wollte Franca wissen, als sie zwischen Schülerscharen hindurch hinter der Direktorin her ging. Klack klack, machten die Absätze ihrer hochhackigen Schuhe.
Die Direktorin drehte sich um. »Ab und zu schon. Aber nicht sehr oft. Ich hab meine Schäfchen gut im Griff.« Sie lachte. Es war eigentlich ein freundliches Lachen. Die Frau hielt ihr die Tür auf. Franca bemerkte, dass sie große Hände hatte. Die Fingernägel waren in ähnlichem Rotton wie das Leinenkleid lackiert. Sie stiegen die Treppe hoch, bis Frau Bongartz endlich die Tür zu einem Büro öffnete. »Bitteschön, nehmen Sie Platz.« Die Direktorin setzte sich ihr am Schreibtisch gegenüber.
»Sie sind wegen Hannah Lingat gekommen, nehme ich an. Man hat uns bereits informiert.«
Franca nickte.
»Das ist für uns alle unfassbar, dass das Mädchen tot ist.« Die Direktorin hatte die Hände
Weitere Kostenlose Bücher