Apollofalter
»Herr Kilian?«
Als er die Augen aufschlug, sah er geradewegs in ein rundes Gesicht mit einem schlecht überschminkten Feuermal. Er kniff die Augen zusammen und zwinkerte ein paar Mal. Nein, er träumte nicht. Es war tatsächlich Irmtraud Lingat, die gekommen war.
»Ich habe Ihnen was mitgebracht«, sagte sie mit diesem scheuen Lächeln, das er so gut kannte, und deutete auf eine Flasche Saft.
Ach Irmchen. Was soll ich mit Saft?
»Das ist nett von Ihnen«, sagte er höflich.
Irmtraud Lingat stand unschlüssig neben seinem Bett. Ihre Haare waren kürzer. Ihre Frisur lag etwas anders als er sie in Erinnerung hatte. Hinter ihr im Sonnenlicht sah er Staubkörnchen flimmern.
»Darf ich mich setzen?«, fragte sie nach einer Weile.
Er nickte. Wusste nicht, was er sagen sollte. Gern hätte er erfahren, was sie von ihm dachte. Sie war ihm immer wohlgesonnen gewesen, das wusste er. Aber ob das jetzt, nachdem er das Betriebsauto zu Schrott gefahren hatte, immer noch so war? Vielleicht war sie wie die anderen von seiner Täterschaft überzeugt und stattete ihm lediglich einen Höflichkeitsbesuch ab.
»Diese Polizistin war bei uns«, sagte sie und setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl, der etwas weiter von seinem Bett weg stand. »Ich wollte der Polizei nicht erlauben, Ihr Zimmer zu durchsuchen. Die Privatsphäre unserer Gäste ist uns heilig.« Sie rang sichtlich nach Worten. »Aber sie kamen wieder. Mit so einem Befehl. Und da ...« Mit beiden Händen strich sie sich über das braune Kleid.
»Machen Sie sich keine Vorwürfe«, sagte er. »Ich weiß, dass sie da waren. Man hat es mir gesagt.« Er sah sie eindringlich an. »Es tut mir leid, dass ich einen Totalschaden verursacht habe.« Er versuchte ein Lächeln, das ihm jedoch missglückte. »Ich werde alles ersetzen.«
»Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Es gibt ja Versicherungen. Ein Glück, dass Ihnen nicht mehr passiert ist. Erst einmal müssen Sie wieder auf die Beine kommen.« Sie nickte eifrig. »Ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld war. Ich meine, auch das mit Hannah.«
Wie rührend sie war in ihrem Eifer. Genau so jemanden brauchte er. Jemand, der fest an seine Unschuld glaubte.
»Aber Sie sind in Ihrer Familie die einzige, die so denkt, oder?«
Sie schlug die Augen nieder und biss sich auf die Lippen. Dann nickte sie. »Sie waren immer so nett. Und ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Dass Sie so etwas tun.«
»Ihr Vertrauen ehrt mich sehr, Irmchen«, sagte er schmeichelnd. »Und ich kann gar nicht laut genug betonen, wie sehr ich mich darüber freue.« Er mahnte sich selbst am Ball zu bleiben. Diese Verbündete hatte er bitter nötig. »Kommen Sie doch ein klein wenig näher. Sie sitzen ja so weit weg.« Diesmal glückte ihm sein Lächeln.
Als ob sie darauf gewartet hätte, rückte sie ihren Stuhl nahe an sein Bett. »Wir haben uns doch immer vertraut«, sagte sie. »Sie würden es mir sagen, nicht wahr? Sie hätten ihr doch niemals etwas tun können? Oder?« Hoch und schrill war ihre Stimme. Es war Angst darin. Und gleichzeitig das Betteln darum, dass ihre Annahme stimme. Ihre Augen sahen ihn an wie damals die seiner Mutter. Als das hässliche Gerücht über ihn die Runde im Dorf machte.
Andi, ist da was dran, an dem, was man über dich erzählt?
Was hätte er sagen sollen? Deine Hannah war ein Biest. Wie alle anderen kleinen Biester auch. Hannah hat es darauf angelegt. Hannah hat mich scharf gemacht. Alles, was geschah, geschah mit ihrem Einverständnis. Aber das kannst du dir in deinem tumben Hirn nicht vorstellen, Irmchen. Oder? Hannah hat mir gesagt, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Dass sie schon lange weiß, wie das ist zwischen Mann und Frau.
Eine Wahrheit, die eine Frau wie Irmchen nie verkraften würde. Eine unnütze Wahrheit. Manchmal musste man hässliche Dinge schönreden. Weil es sich damit wesentlich besser leben ließ.
Er tastete nach Irmchens Hand und drückte sie fest. »Sehen Sie mir in die Augen«, sagte er. »Und dann entscheiden Sie, wem Sie glauben.«
Irmchens Gesicht leuchtete auf. »Ich hab es gewusst. Ich hab immer gewusst, dass Sie unschuldig sind.«
Mit Befriedigung sah er die Überzeugung in ihren Gesichtszügen. Sie glaubte an das Gute. An das Gute in ihm.
28
»Irgendwie habe ich Angst vor dem, was jetzt kommt«, sagte Franca leise zu Hinterhuber, der am Steuer des Vectra saß. Sie passierten den Ortseingang von Güls und fuhren eine enge, steile Straße hinauf.
»Du willst doch auch, dass
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