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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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an ihn, drückte ihr Behagen durch lautes Schnurren aus, und in solchen Momenten vergaß er, dass sie krank war. Niemand wusste, was es für eine Infektion war, die sie immer mehr abmagern ließ. Er empfand grenzenloses Mitleid mit diesem kranken Wesen und hoffte im Stillen, seine Liebe würde die Katze gesunden lassen.
    Irgendwann schnappte er das Wort »einschläfern« auf. Er tat, als ob er nichts gehört habe. Schließlich war er sicher, er habe sich verhört, weil lange nichts geschah.
    Eines Tages war Minka nicht mehr da. Kam nicht mehr zu ihm auf die Bank. Sie blieb verschwunden. Eine tiefe Trauer überfiel ihn, die lange Zeit anhielt.
    Über jeden Schmerz kommt man hinweg. Was ist schon ein Katzenleben? Schau, wir haben bereits eine neue Minka.
    Für diese Worte hatte er seine Mutter gehasst. Richtig erschrocken war er gewesen über die Intensität dieses Gefühls. Ein Gefühl, das er vor seiner Umwelt verbarg.
    Sein Abitur bestand er ohne Not. Sein Studium schloss er erfolgreich ab. Er heiratete. Bekam eine Stelle. All das hatte er schließlich erreicht, was man von ihm erwartete. Und doch war es nicht genug. Weil da immer diese nagende Sehnsucht in ihm war, dieser unerklärliche Wunsch nach jungen, nach ganz jungen Mädchen.
    So gut es ging, hatte er diesen Wunsch unterdrückt. Das Mädchen in Mainz – sie war die Tochter eines Kollegen, bei dem er des öfteren zu Besuch war – hatte er nur angesehen. Niemals angefasst. Höchstens die Hand hatte er ihr gegeben. Zur Begrüßung. Sie war ein durchtriebenes Biest, das ihn anschwärzte. Warum auch immer. Sie hatte erreicht, dass all das, was er sich aufgebaut hatte, zerstört wurde. Er war abgestempelt. Ein Kinderschänder, hatten die Zeitungen geschrieben. Im Kollegenkreis begann man ihn zu meiden. Überall ging man ihm aus dem Weg.
    Darüber hatte er die Fassung verloren. Wieder zu trinken angefangen. Sein Leben war ein endloses Auf und Ab. Er wusste, es war falsch, zu trinken. Aber er war machtlos dagegen. Das Verlangen war stärker. Und nach jedem Absturz das bittere Erwachen, dem immer gierigeres Trinken folgte. Um die Wut, die Verzweiflung, die Angst wegzusaufen. Einfach nur wegzusaufen.
    Sobald er nüchtern war, kam die Scham. Die sich verstärkte, sobald er in die Augen seiner Frau sah. Er konnte die Verachtung in ihrem Blick nicht mehr ertragen. Er konnte sich selbst nicht mehr ertragen. Auf alles reagierte er nur noch gereizt. Er hasste sich selbst dafür, dass er die Dinge nicht mehr auf die Reihe bekam. Dass er sich derartig gehen ließ.
    Er begann, nach Ausreden zu suchen. Warum er morgens nicht mehr aus dem Bett kam. Warum er wieder gesoffen hatte. Sie klangen überzeugend, die Ausreden. So überzeugend, dass er selbst daran glaubte. Nur seine Frau, die glaubte schon lange nicht mehr daran. Eines Tages war sie verschwunden. Weggetreten aus seinem Leben.
    Das war der Zeitpunkt, der ihn aus seiner Lethargie aufweckte. In diesem Moment hatte er sich geschworen, ein neues Leben anzufangen.
    Wie blind er doch war. Wie naiv. Als ob man die Vergangenheit von sich abstreifen könnte wie eine abgestorbene Haut.
    Niemand kann aus seiner Haut heraus, niemand. Hörst du?
    Manche Kämpfe beendete man mit Siegen. Die seinen hatten bis jetzt immer mit der Kapitulation geendet. Vielleicht war das sein Schicksal. Wenn die Polizistin das nächste Mal kam, würde er sich nicht mehr wehren.
     

26
    »Unser Sohn ist ganz verstört, seit diese Sache passiert ist.« Frau Lehmann, Nicks Mutter, war eine zierliche Frau mit dunklen wuscheligen Locken und einer randlosen Brille auf der Nase. Sie trug ein luftiges Sommerkleid, das ihr gut stand. »Mein Mann und ich haben alles versucht, ihn zu trösten. Aber er kriegt sich überhaupt nicht mehr ein. Wir haben sogar schon überlegt, ob wir ihn zu einem Psychologen schicken sollen. Aber kommen Sie doch erst mal rein.«
    »Ist Ihr Sohn denn zu Hause?«, fragte Franca.
    Die junge Frau nickte. »Er liegt auf dem Bett und grübelt. Wie immer in letzter Zeit.« Sie hob die Schultern.
    »Dann gehen wir am besten gleich zu ihm.«
    »Es ist oben im zweiten Stock.« Frau Lehmann ging die Treppe hinauf und zeigte ihnen den Weg. Beim Gehen schwang ihr das luftige Kleid anmutig um die glatten Beine.
    »Besitzt Ihr Sohn ein motorisiertes Zweirad?«, fragte Hinterhuber, als sie vor der Tür standen, hinter der Musik zu hören war.
    »Ein Mofa meinen Sie?« Frau Lehmann nickte. »Die haben doch alle Mofas heutzutage. Dann sind sie

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