Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Augenbraue.
    »Das nicht. Aber wenn sein Onkel mit Giftschlangen arbeitet, dürfte es für ihn nicht allzu schwierig gewesen sein, an eine solche heranzukommen. Wenn er nun noch ein motorisiertes Zweirad besitzt, dann macht ihn das nicht weniger verdächtig. Ganz davon abgesehen, dass gegen ihn noch etliches andere spricht.«
     
     

25
    Stille. Im Bett liegen. Die Schmerzen verdrängen. Darin war er geübt. Immer wieder schob sich in seine ineinander verschwimmenden Gedanken das Früher. Seine Familie. Seine Heimat.
    Familie und Heimat, das waren solch große Worte mit einem verführerischen Klang. Seine Mutter hatte ihm oft von ihrer Heimat erzählt. Das ostpreußische Gut, in das sie nie wieder zurückkehrte. Erst durfte sie es nicht, und als die Grenzen offen waren, hatte er sie gefragt, ob sie jetzt nicht endlich dorthin fahren wollte. Nach Ostpreußen. In ihre Heimat.
    »Wozu?«, hatte sie gefragt und ihn mit seltsamem Blick angesehen. »Das, was ich mir hier drin bewahrt habe«, sie hatte mit dem Handknöchel gegen ihre Stirn geklopft, »gibt es nicht mehr. Warum also sollte ich mir verfallene Gebäude ansehen wollen? Die von Menschen bewohnt werden, die nicht meine Sprache sprechen.«
    Heute wusste er, das pfälzische Dorf war nie ihre Heimat geworden. Heimat, das war eine Illusion. Ein wärmendes Wort, in das man seine Sehnsüchte packen konnte. Und das einem, wenn man nicht aufpasste, die Kehle zuschnürte.
    Das enge Haus mit der Birke davor, das war seine Heimat gewesen. Noch immer gab es nur einen Ort auf der Welt, das er als sein Zuhause bezeichnen würde. Obwohl er an den verschiedensten Plätzen gewohnt hatte.
    Er versuchte, sich die Küche seiner Eltern ins Gedächtnis zurückzurufen. Den rechteckigen Tisch in der Mitte, an dem der Vater Zeitung liest. Mit einem Küchentuch drunter, damit die Druckerschwärze nicht auf das Wachstuch abfärbt. Der Herd neben der Spüle. Mutter, die mit träumerischen Augen aus dem Fenster sieht, während sie das schmutzige Geschirr spült. So lange er denken konnte, sprach sie davon, dass die Birke gefällt werden müsse, weil sie den Blick verstelle und zuviel Dreck mache. Vater nickte stets bestätigend mit dem Kopf. »Ja, du hast ja recht.« Aber es passierte nichts. Niemand unternahm etwas. Und als Mutter starb, stand die Birke noch immer vor dem Küchenfenster.
    Er dachte an die Augen seiner Mutter, die ihn so zärtlich ansehen konnten, wenn sie »komm her, mein kleiner Andi« flüsterte und ihn an sich drückte. Augen, in denen er später, als er älter war, die Angst sah und die Ahnung von etwas, das eine Mutter besser nicht wissen sollte.
    So oft hatte er sich geschworen: Ich enttäusche dich nicht, Mama. Du bist kein Kartoffelkäfer. Du hast kein Ungeziefer in die Welt gesetzt. Du sollst stolz auf mich sein. Seine ganze Kraft verwandte er dazu, gute Noten in der Schule zu schreiben. Das Abitur zu bestehen. Und danach zu studieren. Seine Mutter sollte stolz auf ihn sein.
    Als Studienfach hatte er sich die Biologie ausgewählt. Weil er glaubte, die Tier- und Pflanzenwelt besser verstehen zu können als die Menschen. Schon immer war er sehr neugierig gewesen. Wollte wissen, wie die Dinge schmeckten und im Inneren aussahen. Er hatte Blätter, Gras und Blumen in den Mund genommen und darauf herumgekaut. Mit seinem Taschenmesser hatte er Regenwürmer in der Mitte durchgeschnitten, um zu sehen, ob jeder Teil für sich lebensfähig sei. Als er größer war, erkundete er Büsche und Bäume rund um das Dorf auf eigene Faust. Längst machte ihm der Wald keine Angst mehr. Er sah ihn als seine Spielwiese an. Ein unendlicher Abenteuerplatz. Dornenbewehrt. Die Dornen waren nicht da, ihn zu verletzen, sondern er erkannte sie als eine Schutzvorrichtung. Wer genau wusste, wo sich Dornen befanden, stellte sich darauf ein und wich ihnen aus.
    Gern erinnerte er sich auch an die Katzen, die in dem kleinen Haus herumgeschlichen waren. Sie gehörten einfach dazu. Alle Katzen hießen Minka. Starb eine, gab es bald wieder eine neue. Eine der Minkas war pechschwarz und hatte ein krankes Auge. Die hatte er besonders gemocht. Die kleine Katze mit dem verkrusteten, eitrigen Auge, die sich überall stieß, weil sie offenbar nicht richtig sehen konnte. Oft saß er auf der Bank vorm Haus und die Katze suchte instinktiv seine Nähe. Sie musste geahnt haben, dass er ihr wohlgesonnen war. Er streckte die Hand aus, um sie zu kraulen. Zärtlich strich er über ihr Fell. Sie kuschelte sich näher

Weitere Kostenlose Bücher