Apollonia
sie hatte einen hölzernen Kartoffelstampfer und eine Kaffeemühle, die in ihren Schoß voller Blümchen auf der Schürze passte, und ein blechernes Sieb, das wackelte und quietschte, wenn man das kochende Wasser über den Spinat goss.
Ich sah alles unberührt dastehen, die abgeplatzten Tassen, mit und ohne Henkel, der rostige Büchsenöffner für die zwei Schaschlikspieße aus der Dose jeden Abend. Meine Oma sollte nächsten Dienstag nach Hause kommen. Würde sie dann keinen Kaffee mehr kochen, kein Schaschlik mehr warm machen? Keine Brennnesseln mehr putzen? Würde sie nur noch aus dieser seltsamen Schnabeltasse trinken können? Schon sah das blecherne Sieb verlassen und traurig aus, ein wenig herrenlos, es war eine Übergangszeit, das hier wollte später keiner mehr, außer mir, ich wollte es behalten, egal was kommt, es sollten meine Schätze sein, der Kartoffelstampfer und der Schneebesen mit der Kurbel, Finger weg, keiner durfte es anfassen, es war ein Relikt! Ich würde alles behalten, das Schesselong, den Wandbehang, den Kohleofen, sie sollte alles benutzen können, wie sie wollte.
Aber was redete ich denn da, noch lebte meine Oma Apollonia, sie atmete, sie sprach. Gestern erst hatte sie im Krankenhaus den Arzt beschimpft und ihn einen Unmenschen und den Oberarzt einen ungeschickten Grobian und die Stationsschwester ein fürchterliches Trampeltier genannt. Wer so redete, hatte noch genügend Saft, um noch etwas auf dieser Erde zu verweilen. Meine Großmutter Apollonia hatte noch ausreichend Lunge und Verstand, um mir Dinge zu erzählen, und ich wollte meinen Stift spitzen und ordentlich türkise Tinte in den Füller laden, denn von nun galt es, mein schönes blumenbedrucktes Buch zu füllen.
Als Erstes musste ich sie fragen, ob es nicht auch schöne Dinge in ihrem Leben gegeben hatte. Sie behauptete nämlich immer, dass ihr ganzes Leben ein einziger Scheißdreck gewesen sei. Sogar als ich fünf Jahre alt war, behauptete sie immer, das ganze Leben sei ein einziger Scheißdreck, und es wäre gut, man läge schon auf dem Kirchhof.
– Aber Oma!, habe ich gerufen.
– Ein Scheißdreck.
– Aber Oma!
– Auf dem Kirchhof sollt mer liechen. Dann is Ruh.
– Aber et es doch alles so schön bei dir! Dein schöner Wandbehang.
– Der nützt mich aach naut.
– Und der Fernseher??
– Was soll ich damit, da kommt ja nur Käs.
– Aber … aber der Kohleofen! Du hast doch den Kohleofen!!!
Meine Oma seufzte.
Ich schien in ihren Augen rein gar nichts zu verstehen. Ich aber glaubte, dass meine Oma Apollonia selbst alles nicht so recht verstand.
Ein Kohleofen war doch das Herrlichste, was es gab auf der Welt, ein geheimnisvoller Ort voll lodernden Feuers mit vielen Klappen und Ringen, auf denen die köstlichsten Speisen wie Milchsuppe oder Hefeklöße gekocht wurden. Und der Wandbehang über dem Schesselong erst war eine solche Kostbarkeit, wie ich sie mir nur an den Wänden von Königen und Königinnen vorstellen konnte. Darauf war eine klappernde Mühle am rauschenden Bach zu sehen mit einer überhängenden Tanne und einer Kuhwiese im Hintergrund. Das Mühlrad goss das Wasser in prächtig schäumenden Fontänen zurück in den Bach, und der Fluss leuchtete in so vielen verschiedenen Blautönen, dass man es kaum fassen konnte. Je näher man an den Wandbehang herantrat, umso mehr kleine Fädchen konnte man entdecken, und jedes Fädchen glänzte silbern oder himmelblau oder smaragdgrün, Tausende und Abertausende von Fädchen, und wenn man wieder einen Schritt zurück machte, sah man den Bach und dann den Weidezaun entstehen, und die Pünktchen ließen Blumen erahnen oder das Fenster der Mühle oder einen Tannenzweig. Das größte Wunder aber geschah, wenn man den Wandbehang umdrehte: Dann erschien nämlich die Mühle und alles andere auf einmal in einem tiefen Weinrot mit Gold.
Dieses Mysterium beschäftigte mich meine ganze Kindheit hindurch und ich glaubte, nicht einmal der Kaiser von China könnte etwas so Kostbares besitzen, und ich wusste lange Zeit nicht, welche Seite vom Wandbehang ich schöner fand, die Vorderseite oder die Rückseite, jedenfalls konnte man ihn immerzu bestaunen.
Und dann kam meine Großmutter Apollonia und meinte, das Leben sei ein Scheißdreck und läge man doch bloß schon auf dem Kirchhof. Wie konnte man das Leben so verhöhnen, wenn man so einen herrlichen Wandbehang hatte? Ich fand meine Oma Apollonia sehr undankbar.
– Oma, dou musst dem lieben Gott mal dankbar sein.
–
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