Apollonia
Pfft. Der leywe Gott. Der Herrgott, der hat uns gar nicht in der Kartei!
Dann schielte Apollonia auf den goldenen Herrgott auf dem rabenschwarzen Kreuz über der Tür, und von Zeit zu Zeit packte sie die Wut und sie kletterte auf den Küchenstuhl und hängte den Heiland ab und stopfte ihn in die Schublade zu den Palottinerheften und der Zuckerbüchse und der Anstecknadel vom Blutspenden.
– Der will uns nicht. Dann brauche ich denn aach net. Beten und beten. Hat noch nie was genützt. In der Kirche sitze und sich die Knie ruiniere. Pfft. Der soll mir den Buckel runterrutsche, der Herrgott.
Irgendwann tat es ihr dann leid und sie holte den Herrgott wieder heraus, polierte das Gold ein wenig mit der Schürze und hängte ihn wieder auf. Man wusste ja nie. Es war ein sehr hässlicher Heiland. Das Gold um die Hüfte war sehr breit, und nach oben hin wurde er ganz schmal, das Gold in seinem Gesicht machte einen einzigen Goldbrei aus seinem Antlitz, das Kreuz war viel zu schwarz mit lauter winzigen Nägeln drin, ich fürchtete mich vor diesem seltsamen Kreuz und konnte es genauso wenig leiden wie Apollonia. Aber wir hatten nun mal nur dieses, und man muss es nehmen wie es kommt, und so wanderte Jesus rein und raus aus der Schublade, und manchmal erwischte ich Apollonia, wie sie mit ihm zu reden schien und ihm stumm mit der Faust drohte, und ich fragte:
– Oma, was machst dou?
Da lachte sie verlegen und wehrte ab und sagte, ach nichts … und wischte sich die Faust an der Schürze ab.
Den Streit, ob das Leben schön sei oder nicht und ob sie das Recht hatte, sich auf den Kirchhof zu wünschen oder nicht, führten wir erbitterte elf Jahre lang. Noch waren sie nicht vorbei, allerdings war Oma dem Kirchhof inzwischen entscheidend näher gerückt.
Noch konnte ich versuchen, ihr schöne Dinge zu entringen und diese schriftlich festzuhalten, die schönen Dinge wollte sie ja immer nicht zugeben, nicht ums Verrecken. Oma, du bist doch auch einmal jung gewesen.
– Wie wir jung waren … das waren annern Zeiten … schlechte Zeiten … nur Schafferei … Armetei …
– Aber da habt ihr euch doch auch mal Spaß gemacht …
– Naja Spaß, da wurde nicht gefragt, ob mer Spaß hat … gut, der Onkel Dagobert …
– Was war mit dem Onkel Dagobert?
– Naja … der … der war lustig, mit dem seyn wir alsmal … da seyn wir dann halt mal klammheimlich in die Weidenhecken … da war dann was los … da wurde sich dann getroffen … bis der Pfarrer Heidenfeller kam … dann gab es Aska.
Apollonia in den Weidenhecken! Die Weidenhecken waren jenseits vom Tal und den Sümpfen und umgrenzten unser Dorf dahin, wo der Eulenbirnbaum stand. Da fließt der Schafsbach, und es gibt ein paar schwere Steine zum Sitzen, und wenn die Sonne untergeht, dann leuchten die Weidehecken ganz rot. Apollonia war dem lustigen Dagobert in die Weidenhecken gefolgt, und dort traf sich die Dorfjugend, und dort tranken alle heimlich Schnaps, und sie hat auch mitgetan.
Es waren einmal drei Schwestern, und sie hießen Hanna, Klarissa und Apollonia, sie waren eine immer noch schöner als die andere, und sie lagen in den Weidehecken und waren betrunken, bis der Dorfpfarrer kam und sie herausprügelte mit der Rute.
– In Scholmerbach war immer der Schnapsteufel.
– Ach so.
Der Schnapsteufel war der älteste Einwohner von Scholmerbach, und der Pfarrer Heidenfeller hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihn zu vertreiben. Er schrieb immer dem Bischof in Limburg, wie weit er damit gekommen war und wie viel Anstrengungen er dabei hatte auf sich nehmen müssen. Im Jahre 1899 hatte er die Spinnstuben als Ort der Vergnügungssucht abschaffen wollen, und 1908 sorgte er dafür, dass es am Sonntag eine zweite Andacht gab, damit die Scholmerbacher nicht nach dem Frühgottesdienst bis zum Abend auf der Wirtsbank sitzen blieben, und in der Zeit wurde der Honiels abgeschlossen. Und er musste immer wieder von der Kanzel predigen, dass die Töchter nicht unbeaufsichtigt auf die Kirmes in die anderen Dörfer gehen sollten und nicht mit den jungen Burschen und den Schnapskrügen in den Hecken verschwinden dürften.
Aber genau das hatte meine Großmutter Apollonia gemacht, auf die Maulorgel gesungen und getanzt und den Rheinländer gelernt, zwei rechts zwei links, und es war nicht leicht, sich zu drehen, wenn die Schuhe genagelt waren und die Röcke schwer von der schmutzigen Feldarbeit und wenn sie über Weiden und Wurzeln stolperten und den
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