Apollonia
Selbstgebrannten gesoffen hatten, aber es war leicht, wenn die Zimmerleute dazu sangen und die Vögel flogen und die Hummeln sangen, und als sie mir davon erzählte, so lange Zeit später, da musste sie sich auf einmal auf die Lippen beißen und sich umdrehen, um sich nicht zu verraten, aber ihre Schultern zuckten, und ich wusste, dass sie lachte.
In den Weidehecken war es gewesen, wo die großartige Idee entstanden war mit dem Lusthäuschen. Die Zimmerleute hatten immer Ideen für Sachen, die nichts taugten. Das war das Einmalige an ihnen, dass sie Sachen machten, die für nichts gut waren! Für Hottentotten, wenn man so wollte. Der Dapprechter Gustav würde rundherum springen, wenn er so etwas hörte! Ein Lusthäuschen bauen! Gutes Holz verschneiden und Farbe verpinseln und Nägel verschwenden für nichts und wieder nichts, ohne Not, sozusagen ein Luftschloss bauen über dem Dorf, an den Waldesrand, sodass man über das Tal schauen konnte und Späße machen und womöglich den ganzen Tag trank und lachte, das wusste doch jeder, dass die Zimmerleute den ganzen Tag lachten. Das sah ihnen ähnlich: sich ein Lusthäuschen auszudenken, damit sie noch mehr Lust am Leben hatten, wo käme man denn da hin, wenn jeder nur aus Lust und Dollerei am Leben wäre, das gefiele dem Dapprechter Gustav gar nicht. Nein, dem Dapprechter Gustav gefiel es gar nicht, wenn seine Töchter Hanna, Klarissa und Apollonia in der Nähe der Zimmerleute waren, ganz und gar nicht.
Aber Großonkel Balduin hatte schon eine Zeichnung gemacht vom Lusthäuschen, wie es einmal sein sollte, und das muss aber früher gewesen sein, vielleicht um 1918, und der letzte Schuss vom Krieg war noch nicht gefallen, da wollten sie schon nichts mehr davon wissen. So ein Häuschen hatte Balduin mal in Weilburg gesehen, auf der Wanderschaft.
Er rollte ein Papier aus, mit einem Pavillon aus akkurat mit rotem Buntstift ausgemalten Balken und mit acht Ecken und nach allen Seiten offen, Fachwerkecken, so schön wie ein Schloss für die Luft und den Wald, auf dem Blatt verziert mit Arkaden und Blättergirlanden.
Großonkel Balduin, hat Apollonia später gesagt, war immer stolz auf seine akkuraten Zeichnungen. Und so ist es dann auch gekommen. Allen hat die Idee mit dem Lusthäuschen gefallen, und sie fingen sofort an, Pläne zu schmieden, wie sie dem alten Josef das Holz entlocken könnten oder es einfach vom Stapel nehmen und zuschneiden, und an welcher Stelle über Scholmerbach das Lusthäuschen stehen sollte. Und darauf mussten sie noch einen Schnaps trinken und noch einen und sich so freuen auf das neue Lusthäuschen … bis es auf einmal im Gebüsch raschelte und eine Stimme dröhnte:
– Was macht Ihr da!!! Schnaps saufen in den Hecken!! Euch werde ich helfen!!
Und der Pfarrer Heidenfeller mit dem Rohrstock brach durch die Büsche und drosch sie heraus und verfluchte sie und ihre armen Seelen, die er dem Teufel der Trunksucht noch einmal entrissen hatte.
Mein Urgroßvater, der Dapprechter Gustav, hatte gesagt, dass der Pfarrer Heidenfeller nur recht hatte, die Burschen und Mädchen aus den Hecken zu jagen, denn der Schnapsteufel verführte sie zur Liederlichkeit, und dann geschah womöglich so manches, was nicht geschehen durfte! Dann kriegten sie Kinder, und dann mussten sie heiraten, und dann war wieder er es, der Pfarrer Weidenfeller, der zusehen musste, wie da zwei aus der Not heraus zusammengeschmiedet werden mussten, die sich nüchtern betrachtet und am helllichten Tage gar nicht recht waren, und dann war es ein Ach und ein Weh, wie oft hatte er das schon mit ansehen müssen, und dann war es zu spät. »Gezwungene Ehe – des Herzens Wehe!«
Und das gab es im Westerwald um 1920 ja schließlich andauernd.
Übers Jahr aber war das Lusthäuschen fertig. Es war ein prächtiger Holzpavillon geworden, hoch oben im Wald über Scholmerbach, mit seinen acht Ecken und einem hübschen Schieferdach und Balken rot bemalt mit Ochsenblut, ein Häuslein gebaut für den Wind und für die Vögel und den Wald und die Rehe und den Farn und die Beeren, die durch die Fenster wuchsen, und für die Lust und für die Lieder und für die Wandersleute, da konnte sich der Pfarrer Heidenfeller auf den Kopf stellen.
Für meinen Großvater Klemens aber war das Lusthäuschen wie die Mailänder Staatsoper für den Caruso. Hier konnte er singen wie sonst nirgends, hier fühlte er sich großartig, und er nahm die Lust für sich in Anspruch wie sonst keiner, seine Brüder hatten das
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