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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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froh und frei, mischt doch darum sein Lob darein, mit Gaben mancherlei und stimmt auf seine Art mit ein, wie schön der Morgen sei.
    Und meines Großvaters Stimme konnte sich nicht zurückhalten und reihte sich ein in all die Stimmen laut und leis’, aus Wald und Feld und Bach und Teich, aus aller Schöpfung Kreis, ein Morgenchor, an Freude reich, zu Gottes Lob und Preis.
    Er sang das »Ännchen von Tharau« und von der schönen Loreley, und die »Rosemarie, sieben Jahre mein Herz nach dir schrie«.
    Meine Großmutter Apollonia aber war Himbeeren pflücken am Waldesrand, und sie hatte gerade darüber nachgedacht, dass sie mit ihren Schwestern in diesem Jahr zum siebenten Mal beim Honiels an der Wirtshauswand stehen würde, und die Freier kamen von nah und fern und sogar noch aus Langdehrenbach. Aber es schien, als seien die Reihen der Freier lichter geworden, der feine Wilhelm aus Wennerode hatte sich vergangenes Jahr die Amalie aus Hellersberg gefrieen, und der reiche Bauer Philipp aus dem Jammertal hatte sich Sieglinde mit nach Hause genommen, und der Uhrmacher aus Wällershofen hatte sich Agnes von den Schulmeistern genommen. Auch die Freier aus Pfeifensterz fragten nicht mehr so oft, ob sie tanzen wollten, und holten sich die jungen Mädchen von den Schlossens oder den Paulinchens, und Hanna und Klarissa und Apollonia mussten an der Wirtshauswand stehen bleiben. Es drohte eine weitere Kirmes an der Wirtshauswand.
    Als sie nun in jenem Sommer die Himbeeren pflückte, da scholl die Stimme meines Großvaters auf einmal übermächtig an ihr Ohr, und sie ließ die Himbeerzweige sinken und glaubte auf einmal ganz und gar, dass sie gemeint war mit der Rosemarie, nach der mein Großvater schon sieben Jahre geschrien hatte. Und da war es ihr auf einmal wunders wie, und sie bekam Herzklopfen, und wer weiß, vielleicht lohnte es sich nicht mehr zu warten auf die Freier aus Linnen, aus Pfeifensterz oder aus Wennerode … wenn es einen Sägemehlsprinzen in Scholmerbach gab, jung und kräftig, der sang wie ein Herrgott und rührte ihr Herz, da wusste sie auf einmal: Es war noch nicht alles zu spät.
    Oma lag jetzt nicht gut. So sagten sie es. Jemand »liegt nicht gut«.
    Wenn Oma nicht gut lag, dann lebte sie nicht mehr lange. Dann würde die Küche unterm Dachjuchhee in meinem Elternhaus bald leer sein, und auf dem roten Schesselong läge ich ganz alleine unter dem Wandbehang mit der klappernden Mühle am rauschenden Bach, und die »Neue Post« und die »Sieben Tage« blieben ungeöffnet, und meine Brüder machten bloß die Rätsel.
    Es war ein eigenartiges und schales Gefühl, obwohl ich wusste, dass Apollonia sich das Grab so sehr herbeigewünscht hatte, wenn auch ein anderes Grab als das, wo sie drin liegen sollte. Vielleicht aber kam sie bald aus dem Krankenhaus nach Hause, und man konnte sich hier um sie kümmern. Es war doch gut, in Scholmerbach zu sterben. Was sollte sie in der Stadt, wo sie sich nicht wohlfühlte; niemandem, der aus Scholmerbach kommt, fällt es leicht, sich woanders wohlzufühlen.
    Ich konnte mir ein Leben ohne meine Großmutter gar nicht vorstellen, und so hofften wir, sie könne mit Hilfe der Ärzte doch noch weitermachen, und taten so, als sei nichts geschehen und schenkten lustig Traubensaft und noch ein Nachthemd von C&A und Leibnitz Butterkekse, denn wir waren nicht gewappnet für einen möglichen Tod und wagten auch nicht, davon zu sprechen oder Vorkehrungen zu treffen, ich dachte immer noch, es sei womöglich nicht ernst. Anders. Aber noch nicht ernst.
    Meine Großmutter Apollonia war in gewissem Sinne unsterblich.
    Sie stand vor mir im Geiste mit den Armen zu einer immerwährenden Drohung erhoben:
    – Eysch holen gleich den Schürhaken! Eysch hole den Schürhaken aus dem Feuer! Eysch schlage mit dem Schürhaken auf euch druff, bis euch glühnich heiß wird!!
    So hat sie gesagt. Gut, sie hat es nicht gemacht. Sie hat auch gesagt, sie will uns alle an die Wand werfen. Hat sie auch nicht gemacht.
    Ich glaube, wenn Apollonia wirklich gekonnt hätte, dann hätte sie meinen Großvater Klemens an die Wand geworfen. Aber Klemens war von selber gestorben, zwei Jahre zuvor. Er war von einem Auto überfahren worden. Er hatte einfach nicht die Wegsteuer gehabt, um auf einer Seite der Straße zu bleiben, und während er mitten in Scholmerbach von einer Seite der Fahrbahn auf die andere trudelte, war das Auto gekommen und hatte ihn in den Straßengraben befördert. Da ist er dann umgekommen,

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