Apollonia
zu Haus geschleppt wurde und wir gebetet haben, seitdem höre ich diese Worte, und ich habe niemals schönere Worte gehört und muss immer wieder herkommen, immer wieder.
– Maria, ich habe dir was zu sagen, bat ich und machte das Kreuz und sank auf das Bänkchen, auf dem sonst die Brautpaare knien, und vor mir brannten siebenundzwanzig Kerzen mit inniglichen Wünschen, und nun kam meiner noch dazu und musste noch viel inniglicher brennen.
– Maria! Meine Großmutter muss sterben!!!
Maria hörte mich und schien mich zu verstehen, und ich spürte die Heiligkeit im Kerzenschimmer golden flackern, und um das gekrönte Haupt mit dem blauen Schleier schienen weißliche Nebel zu ziehen, das waren vielleicht zerfallene Engelsgewänder, vielleicht war es nur Kerzenrauch, wer wusste das schon, es war fein, so fein. Schon war es mir ein wenig leichter, und es war gut zu wissen, dass meine Großmutter nicht irgendwohin gehen würde, sondern dahin, zu Maria, und dass nicht nur der Herrgott mit seinem Wein und Großvater mit dem Schnaps, sondern auch noch Maria und die Engel warteten und ich ihnen Apollonia anvertrauen konnte.
– Der Dr. Samstag macht nur Mist, liebe Muttergottes, und ich weiß nicht, ob das der göttlichen Vorsehung entspricht! Maria! Ist Dr. Samstag ein Handlanger Gottes? Wird er meiner Oma auf Umwegen einen Haufen Leid ersparen? Oder soll ich alles meiner Mutter sagen, und wir müssen Dr. Samstag das Handwerk legen? Meine Oma wollte immer auf dem Kirchhof liegen, aber nicht neben dem Opa, dabei ist da schon der Grabstein mit Platz für ihren Namen! Kann man da irgendetwas machen? Gib mir ein Zeichen!!! Bitte, gib mir ein Zeichen!!!
Aber die weißlichen Nebel zu Marias Haupt schienen nur mild und mitfühlend zu treiben und ergaben kein Bild. Vielleicht sollte ich stattdessen in den Kerzenschein unter der Muttergottes sehen. Die Flamme flackerte und strömte und tanzte, wie in der Dampfmaschine meines Großvaters, mal schien sie meterhoch zu wachsen und dann verwandelte sie sich in eine kleine Feuerfee, aber sie sagte nicht, was ich tun sollte. Dann schaute ich endlos in Marias Gesicht, aber Maria war entrückt, als könnte sie sich jetzt nicht mit mir befassen, als sei sie mit den Jahrhunderten beschäftigt, mit allen Jahrhunderten und ihrem sterbenden Sohn auf den Knien, der nun schon so lange dalag, dass ihr schier den Arm abbrach.
Ich wusste nicht weiter. Neben mir stand der verwaiste Beichtstuhl, in dem ich keine einzige Sünde gelassen hatte, denn alle meine Sünden waren in unserer Dorfkirche in Scholmerbach geblieben, aber mir war nach Beichten. Ich hatte viel auf dem Kerbholz, ich zog mit den Soldaten herum, belog meine Eltern, knutschte liederlich und betrank mich, machte keine Hausaufgaben mehr und war unlängst in die Fänge der Besatzungsmacht geraten; ich war in Gefangenschaft gewesen und hatte mich unerlaubt entfernt wie der Graf von Monte Christo von der Teufelsinsel.
Das musste ich beichten. Jetzt. Sofort. Ich nahm ein Gebetbuch, und da außer mir keiner da war und der Beichtstuhl offen stand, konnte ich mich hineinsetzen und beichten. Im Beichtstuhl stand der Putzeimer mit einem Schrubber, das war ja ein starkes Stück, ich stellte den Putzeimer zum Pfarrer herüber und kniete mich auf die Gebetsseite und schlug den Gewissensspiegel auf. Es war so dunkel, dass ich beinahe nichts sehen konnte, aber das meiste kannte ich auswendig. In der Kirche war mir als Kind immer so langweilig gewesen, da war der Gewissensspiegel im Gebetbuch eine aufregende Sache.
– Gelobt sei Jesus Christus, betete ich und antwortete mir selber:
– In Ewigkeit Amen.
– In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden. Ich habe der Trunksucht gefrönt.
Ich habe Vater und Mutter durch Verstellung und Lüge hinterhältig hintergangen und bin ohne ihr Wissen in die Wirtschaft gegangen und habe dort liederliche Reden geführt, mich unmäßig dem Rausch hingegeben und bin in schlechte Gesellschaft geraten. Ich habe durch Faulheit und Geschwätz und unreine Gedanken meine Pflichten in der Schule versäumt. Ja, ich hatte unreine Gedanken. Ähm. Ich habe daran gedacht … Ich möchte beichten, dass … es mir … süß und schön … und … göttlich vorgekommen ist … und dass es mir schwergefallen ist, … dass ich noch Jungfrau bin … und beinahe wär’s passiert, … also gerade noch so … mit Ach und Krach. Amen.
Im Allgemeinen fühlte ich mich besser nach einer Beichte. Leichter und wie gereinigt
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