Apollonia
mal überlegen, sagte Fredo. Aber nächste Woche werden in der Villa die Wände eingerissen, dann müssen die Witwen raus, bis dohin kannst dou Platz schaffen. Wenn die Partei was anordnet, dann muss man auch gehorchen.
– Ach, ihr könnt mir doch den Buckel runterrutschen mit eurer Partei, sagte Apollonia.
– Das will eysch nicht gehört han, sagte Heinrich.
– Lona, sagte Fredo, eysch muss schon sagen! Ich komme nächste Woche wieder! Dann hast dou Platz gemacht für wenigstens eine Witwe und ihren halbwüchsigen Sohn. Für den Führer müssen wir alle Opfer bringen! Die anderen müssen auch Leute aufnehmen!
Damit verschwanden Heinrich und Fredo, und ihre Drohung blieb im Raum stehen und vermischte sich mit in den dampfenden Schwaden der Bohnensuppe auf dem Kohleherd. Meine Großmutter Apollonia wollte keine Fremden im Haus und schon gar keine aus dem Ruhrpott mit ihrem Woll und Watt. Sie spürte im Leib das Kind treten, und das Kind hob ihr die Schürze, und das Stehen war schwer, und das Gehen war schwer, und das Wäschewaschen war schwer, und das Schweinefüttern war schwer. Klemens war auf dem Zimmerplatz und der Dapprechter Gustav auf dem Feld, und ihre Mutter Kathrein hatte sich mit einem unaussprechlichen Gedöns wegen dem Untenherum ins Bett gelegt. Da sollte sie sich auch noch um Anderleuts kümmern, eine Frechheit war das, so konnten sich nur Mannsleute aufführen.
Wenn es jetzt losging mit dem Kind, dann war sie womöglich ganz allein, und einer musste die Hebamme rufen, die wohnte ganz oben in der Straße, oder die Therese, die wohnte in Hellersberg, da musste einer drei Kilometer zu Fuß gehen, und bis sie dann da war, wer weiß. Es wäre besser gewesen, sie hätte rechtzeitig ihre Schwestern gerufen, Hanna und Klarissa. Kinderkriegen war keine schöne Sache, und Apollonia stellte das Wasser hin und die Schüsseln und die Wäsche und die Lumpen, wie man ihr aufgetragen hatte, aber ihr war nicht wohl dabei. Wenn sie nun die Hebamme zu spät rief, war es nicht gut, aber wenn sie sie zu früh rief, dann war es erst recht eine Schande, und die Hebamme musste wieder gehen. Apollonia hatte nur gehört, es geht los, wenn man Rückenschmerzen bekommt, sie hatte aber keine Rückenschmerzen. Sie hatte nur allmählich starke und immer stärkere Schmerzen im Untenherum und fühlte, wie sich ihr Leib zusammenpresste, aber darüber sprach man nicht, und solange ihr der Rücken nicht wehtat, konnte es auch noch nicht losgegangen sein.
Als am späten Nachmittag der Dapprechter Gustav vom Feld kam, hörte er seine Tochter unstet in der Küche herumpoltern, und als sie beinahe den Spülstein abgerissen hätte, da dachte er sich seinen Teil. Er wollte gleich die Hebamme aus Hellersberg holen, weil die Berta aus Scholmerbach verreist war, und dachte, er könnte die Kuh vorspannen, damit die Hebamme nicht den ganzen Weg zu laufen brauchte. Lore, die Kuh, aber war noch immer gekränkt, denn weil sie auf dem Acker keine geraden Furchen gezogen hatte, hatte der Dapprechter Gustav sie geschlagen.
Er wollte sich beeilen und sie aus dem Stall holen, da rutschte er in der schleimigen Rinne aus und fiel hin, und Lore sah ihre Gelegenheit gekommen und trat auf ihn drauf. Dabei erwischte sie ihn derartig am Kopf, dass er an Ort und Stelle sein Leben ließ, und es war ein schreckliches Unglück, und der Dapprechter Gustav schied dahin im Kuhmist auf dem Boden von seinem frisch gekalkten Stall.
Apollonia aber rang auf dem Küchenstuhl, und wäre nicht Tante Lisa von nebenan vorbeigekommen und hätte Urgroßmutter Charlotte vom Zimmerplatz geholt, die schon vierzehn Kinder geboren hatte, wer weiß, was geschehen wäre. Meine Mutter Marianne erblickte das Licht der Welt auf dem Küchenboden, weil meine Großmutter die Kurve nicht mehr gekriegt hatte und nicht mehr hochgekommen war und keine Rückenschmerzen gekriegt hatte und vielleicht, weil sie in den schwersten Augenblicken ihres Lebens am liebsten an ihrem Kohleofen war.
Nun war im kleinen Lehmhaus im oberen Stockwerk genügend Platz für zwei Ruhrpottwitwen und den halbwüchsigen Sohn, und kaum dass die Kirchturmglocken verklungen waren und man den Dapprechter Gustav begraben hatte, zogen sie auch schon ein.
Die alte Kathrein, die mit den Jahren an der Seite ihres gestrengen und polternden Mannes mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart immer bleicher geworden war, hatte ihre Krankheit am Untenherum mit zusammengepressten Lippen der ganzen Welt verheimlicht, und sie lag im Bett und
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