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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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»Radetzkymarsch« oder »Weine nicht, kleine Eva«.
    Wenn man in der Waldeslust irgendeinen Musikwunsch hatte, konnte man drücken, was man wollte, es kam sowieso immer nur der »Radetzkymarsch« oder »Knallrotes Gummiboot« oder »Kleine Eva«. An der Musikbox stand der Sumpfgraf mit seinen silbernen Haaren, dem konnte man immer gut einen Schnaps rausleiern. Wenn man den Sumpfgrafen anlachte und ein wenig herumstand, dann rutschten ihm seine weißen Haare über die Brille und er rief den Wirt und sagte:
    – Geb den Maadschern mol einen!
    Der Sumpfgraf war unser würdig betrunkener Bürgermeister, aber in der Waldeslust war sowieso jeder betrunken, deshalb ging man ja dahin, wir waren auch gerne betrunken. Es war eine Opa-Wirtschaft, mit vielen alten Leuten, aber das war uns vollkommen wurscht, wir fühlten uns wohl unter der Wand mit den unzähligen abgeschnittenen Schlipsen vom Altweibertag und den blässlichen Bildern von den Fußballmannschaften mit fürchterlichen Koteletten über den Backen und den schwimmenden, schwebenden Soleiern im bräunlichen Glas an der Theke. Hier war immer Stimmung, und die Alten waren immer die Lustigsten. Man sollte ja von dem Alter lernen, hatten sie in der Schule gesagt.
    – Alt und lustig muss man sein, sagte Bea.
    Der alte Theo mit seiner Zigarre im Mund schmunzelte unentwegt und machte uns bereitwillig einen Lumpenschnaps, denn der Lumpenschnaps war seine Spezialität. Er hatte ihn selber erfunden. Der leuchtete und war grün und roch ein wenig nach Pfefferminze und Lakritze und konnte den stärksten Mann umhauen. Darum kniff Theo ein Auge zu und sagte:
    – Gefft Ooscht – Ihr Maarerscher!
    Wir sollten Obacht geben, wir Mädchen. Aber wir, Bea und Stefanie und Brigitt und ich, kannten uns schon aus mit Schnaps. Das kann passieren, wenn man in einem Dorf lebt, wo der Schnapsteufel zu Hause ist seit Hunderten von Jahren. Man lernt das einfach. Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen. Der Sumpfgraf erzählte uns, dass wir in Scholmerbach die schönsten Mädchen hätten, die allerschönsten Mädchen weit und breit, viel schöner wie die von Ellingen oder Linnen und noch viel viel schöner wie die von Pfeifensterz oder Böllsbach oder Wennerode. Ja, wir wären überhaupt die schönsten Mädchen vom ganzen Westerwald.
    Dann rief der alte Honiels Franz aus seiner Ecke:
    – Auf, Theo – mach den Maadschern noch in, irgendwott!
    Man brauchte überhaupt einfach nur aufzutauchen und bekam immer was geschenkt, ein Solei, ein Bier, Erdnussflips oder ein Nappo. Um elf Uhr waren wir betrunken, denn wir waren ordentliche Töchter unseres Dorfes, richtige Scholmerbacherinnen, die Freundinnen vom Schnapsteufel, der nicht starb in all den Jahren. Wir zogen weiter durch das Dorf und suchten Lichter, die noch brannten, und es war uns ganz egal, wer feierte: der Gesangsverein halbe Lunge oder die Schlümpfe, Hugos fünfzigster Geburtstag, Tante Hedwigs Grillfeier, Wurschtsuppentreffen von den Fleischwurstweibern, egal. Bei Honiels konnten wir bis vier Uhr nachts noch an die Fenster klopfen, auch wenn die Tür schon verschlossen war, und wir hatten einen Riesenspaß und fühlten uns prächtig in unserem Scholmerbach und stolperten herum und sangen die schönen Lieder, die wir von unseren Vätern und Müttern gelernt hatten: »Es gibt kein Bier auf Hawaii« »oder »Anneliese, ach Anneliese« oder »Kann off kaanem Baa mie stieh, allweil giehn mer goonetmie, allweil giehn mir goonetmie, goonetmie noh haam«. Wir sangen auch, dass wir Westerwälder seien und keinen Lippenstift bräuchten und erst recht keine Augenbrauen. Wir sangen alles, denn es war Sommernacht und Blütenduft, Sommernacht und Blütenduft das ganze Jahr, auch im Winter, ganz egal, und wir konnten nie genug kriegen, wir nicht und die Alten nicht, und wir sangen und feierten und sangen und feierten und liebten die Nacht, und es ging nur darum, dass wir jene störten, die nachts im Bett lagen, denn in der Dorfnacht hatte keiner was in seinem Bett zu suchen, nicht mal die Kranken, die erst recht nicht, man musste sie auf die Straße werfen mitsamt ihrem Bettgestell, denn dann wurden sie gesund auf der Stelle.
    Am Sonntag war ich krank. Schrecklich krank. Mein Kopf schmerzte höllisch, und ich hatte dieselbe Krankheit wie nach der Kirmes, und in ganz Scholmerbach sah man auf der Straße nur Hunde und Kinder.
    Leider war wieder nur ein Tag vergangen, und ich musste noch acht Tage warten, bis mein Jim wieder frei sein

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