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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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besonders!
    – Es könnte auch …, sagte sie, … eine Stoffwechselerkrankung auslösen und die Organe in Mitleidenschaft ziehen, gerade bei einer Darmerkrankung muss sie ja auch abführende … ich weiß nicht, wie häufig hat Ihre Großmutter denn Stuhlgang? Hat sich da was verändert, konnten Sie da etwas beobachten?
    Ach du lieber Gott. Über so was redete man bei uns nicht. Gewisse Vorgänge in der unteren Hälfte des Leibes waren praktisch unaussprechlich, da war dann »was« und wurde großzügig unter »Kinderkriegen«, »Klo« und »Tage« abgelegt und fertig. Ehrlich gesagt, hatte ich meine Oma überhaupt nicht mehr auf dem Klo gesehen, sie ging ja nie gerne aufs Klo.
    – Keine Ahnung, sagte ich.
    – Also man sollte diese Medikamente auf gar keinen Fall zusammen einnehmen, sagte die Apothekerin, und der alte Apotheker Marksen schien zu überlegen und meinte dann, bei so was müsste man glatt die Ärztekammer informieren. Wenn er nicht gehört hätte, dass es ein Dr. Neuman aus Limburg sei, würde er glatt auf Dr. Samstag tippen.
    Aber gut, jetzt mal die Kirche im Dorf lassen, aber bitte sofort meinen Eltern Bescheid sagen und entweder einen anderen Arzt holen oder dem Neumann ans Herz legen, sich noch mal die Standardwerke der Pharmakologie anzusehen und in den Pschyrembl zu schauen.
    Dann verschwand er wieder in seinem eschernen Labyrinth mit bräunlichen Flaschen und Mixturen und Schubladen.
    – Ich meine, flüsterte ich, … kann das meine Oma umbringen?
    – Naja, sagte sie. Die Diagnose dürfte ja ungünstig … vermutlich würde es sich auf das Ableben vor der Zeit … begünstigend auswirken.
    – Ah, sagte ich.
    Dann ließ sie ihre Brille wieder auf den Busen fallen, und die Audienz war beendet. Ich wusste nun, was ich bereits vermutet hatte, und warf mir vor, einen Tag verloren zu haben. Bestimmt hatte Dr. Samstag schon wieder gespritzt. Was sollte ich nur machen?
    Sollte ich zu meiner Mutter sagen: Oma wird gerade um die Ecke gebracht, wir müssen Dr. Samstag verklagen, ich habe ihre Tablettenschachteln geklaut, ich weiß genau Bescheid! Wir brauchen einen anderen Arzt! Nach Scholmerbach kam aber nur der Dr. Samstag, das war schon immer so, und es war wie eine geheime Bestimmung, dass im Leben meiner Oma Apollonia bis zum Ende hin immer Murks passierte. Vielleicht sollte es ja auch so sein, dass sie am Ende ein wenig lustig werden sollte, und vielleicht tat es ihr gut, wenn es schneller zu Ende ging.
    Als ich aus der alten ehrwürdigen Apotheke in Wällershofen an die frische Luft trat, war ich mir gar nicht mehr genau sicher, ob ich mein Geheimnis verraten sollte oder nicht. Was war nur richtig im Angesicht des Herrn?
    Wer konnte mir das sagen? Die Muttergottes oben auf dem Hügel? Auf dem Liebfrauenberg?
    Seit vielen Jahrhunderten thronte sie auf ihrer Burg hoch oben über dem Jammertal, und ich beschloss, die serpentinenartigen Wege hinaufzulaufen, um im Wind und in dem Geruch der Brennnesseln und der Dornschlehen und der weiten Wiesen und lieblichen Blumenfelder meinen Kopf zu klären und dann Hilfe und Beistand und Eingebung von der Muttergottes zu bekommen.
    In der Marienkirche war es dunkel, und nur die Fenster zum Tal hin ließen Licht hinein wie das Licht Gottes in das Dunkel der Seele in einer schweren Zeit. Maria saß auf der rechten Seite in einer Nische und trug schwer am gekreuzigten Christus, der im Laufe der Jahrhunderte fahl geworden war, ein fahler, beinah grauer Jesus hing mit seinem ganzen Oberkörper in ihrem rechten Arm. Nur mit göttlicher Kraft war es ihr möglich, dass sie ihn so lange hatte tragen können, sonst wären beide schon längst umgefallen, aber in Gott war alles möglich.
    Ich war durch den stillen, durchsichtigen Nebel der Eucharistie gegangen, es roch immer ein wenig nach Kloster und nach Mönchen und nach Kerzen und Gebet. Ich hörte im Dunkeln noch Gebete, die waren längst schon verstummt, aber Rosenkränze hört man immer weiter, sie murmeln immerzu … du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes … Anmut ist ausgegossen auf deinen Lippen … wie eines schnellen Schreibers Griffel eilt meine Zunge … ach, das war die Marienandacht, siehe, du bist die Schönste unter den Menschenkindern, und Anmut ist ausgegossen auf deinen Lippen. Sobald ich die Marienkirche betrat, waren die Worte wieder da, und es waren diese Worte, die mich in die Marienkirche zogen. Seit die betende Maria in meinem Dorf von Haus

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