Apollonia
sein wie zuvor. Nicht, dass es schmutzig gewesen war. Das auch wieder nicht. Es hatte sich aber verändert, und Tante Klarissa hatte Lieblichkeit und Milde zurückgelassen, und Apollonia sah noch den ganzen Abend so weich und hell und lieblich aus.
In den folgenden Tagen verlor sich das wieder, und sie wurde härter und verstockt.
Meine Mutter hat gesagt, dass Tante Klarissa immer lächelte, alles verzieh und alles duldete, während Tante Hanna so schimpfte, dass sie fast vom Stuhl fiel. Einmal hatte Onkel Balduin sie gerade noch aufgefangen, sonst hätte sie sich die ganzen Knie zerfallen.
Es war gut, dass mein Großvater Klemens ihr nicht unter die Hände geriet, sonst hätte sie vielleicht Hackfleisch aus ihm gemacht. Aber vielleicht hat sie auch meiner Großmutter zuliebe nur geschimpft, wenn er nicht dabei war. Jedenfalls konnte Apollonia es nicht vertragen, wenn Hanna sich über ihn ausließ, und fing an, meinen Großvater Klemens zu verteidigen. Man könne ja nicht den lieben langen Tag ein ernstes Gesicht machen und ein Mann, der immer nur zu Hause hockt und nicht gesellig ist und keine Kameraden hat, der sei ja auch langweilig. Daraufhin war Großtante Anna verschnupft gewesen und hatte gemeint, ein Mann, der redlich ist und viel Arbeit hat, der hat auch auf der Arbeit seine Freunde und macht da schon mal einen Scherz, ist aber am Abend von der getanen Arbeit müde, so wie einstmals der in Ehren gehaltene Vater Gustav!
Hanna meinte, es sei eine Schande, dass der Klemens so faul sei und dass er die Ruhrpottwitwen ins Haus gelassen hätte, so ein Gesocks, und Apollonia meinte, wenn die Partei was anordnet, hätte man überhaupt keine Wahl. Außerdem seien die Ruhrpottwitwen arme Christenmenschen und nur verjagt worden, und denk an unsere Klarissa, die hätte die bestimmt aufgenommen. Hanna jedenfalls fand das alles nicht gut, bis Apollonia aus Trotz am Abend sagte, man müsste den armen Witwen auch mal ein gutes Wort sagen, und da kam Klemens herein, und Apollonia sagte:
– Man muss auch mol ein wenig gesellig sein! Da staunte Klemens, was in sie gefahren war, aber sie fuhr fort: – Wir können ja dey Witwen mal einladen und einen Aufgesetzten trinken und ein paar Eier braten.
Und Klemens und Apollonia lachten, und Klemens holte voller Stolz seinen selbst gebrannten Schnaps, und Apollonia ging zögernd zur Treppe und rief die schmalen Stufen hinauf:
– Hier … Wilhelmine, Luise … wollte ihr mal nunterkomme?
Es dauerte einen Augenblick und war wie eine Starre, und Tante Hanna sagte missbilligend: Na!
Und dann kam von oben:
– Watt?
Und schon winkte Klemens mit dem Schnaps, und Tante Hanna griff nach ihrem Mantel und schickte sich an, das Haus zu verlassen. Für ein Besäufnis mit den hergelaufenen Weibern aus den Steinbrüchen war sie nicht zu haben, da ging sie lieber wieder nach Langdehrenbach, dort hatte sie es schöner, und es gab ganz allgemein gescheitere Menschen als hier.
Als aber mein Großvater und Apollonia mit den Ruhrpottwitwen und ihrem Sohn Jakob beisammensaßen und gebratene Eier und gebratenes Brot mit Zucker aßen und dazu den Aufgesetzten tranken, da erfuhren sie, wie es den Witwen ergangen war, wie sie von Herne und Gelsenkirchen gekommen waren mit ihren Männern, um in den Steinbrüchen zu arbeiten. Dann starben sie und das war’s.
– Wat willße machen.
– Ma’ wierd ja nich gefracht.
– Es et da met der Rente genouch?, fragte mein Großvater.
– Nä, sagten die Witwen. Dat mit die Rente kannße vergessen. Da musse dich anders zu hällfen wissen.
– Wie dann?, fragte Apollonia.
Als gelte es, ein großes Geheimnis zu verraten, winkte Wilhelmine und hob ihre Schürze.
– Kumma!
– Wott da?
– Hab ich genäht, woll! Ich hab en Nähmaschienken! Da mach ich wat für’n Aabeitsdienst un da kann ich mich wat von abzwacken.
Sie kniff ein Auge zu.
– Kann ich dich au’ mal wat nähen, ich seh schon, wie dich dat Blüsken ausenander fällt. Dat kann ich dich richten!
Apollonia zuckte zusammen. Dass womöglich ihre Schwester den Riss in der Bluse gesehen hatte, war ihr gar nicht recht. Einen neuen Rock brauchte sie schon lange, ein feines Kleid für sonntags wäre gar zu schön.
– Willsde noch’n Schnaps? Könne ach noch e Ei in de Pann haache!
Wer weiß, vielleicht hatte es ja mit den Witwen auch was Gutes. Man muss sehen, wo man bleibt, und nehmen, was kommt, und das beste draus machen. Not kennt kein Gebot. Die Witwen sollten ruhig ihre
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