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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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stand nicht mehr auf und verbot jedem Doktor, sich zu nähern. Nur Großtante Hanna hatte sie irgendwann mal gestanden, da sei etwas »herausgefallen«. Darüber durfte aber niemand reden. Lieber blieb sie im Bett, und jeder musste sie bedienen, aber sie verlangte so wenig, dass sie bald niemand mehr bemerkte.
    Meine blässliche Urgroßmutter Kathrein wurde also mitsamt ihrem herausgefallenen Untenherum im Bett nach unten gebracht und mit Schränken und Waschtisch und Nachtgeschirr und Schüsselbank und Sessel in das eine Zimmer verfrachtet, und meine Großmutter Apollonia und mein Großvater Klemens mit meiner Mutter Marianna legten sich in das andere Zimmer, und meine Mutter sollte vom ersten Atemzug an zwischen der nach Stall und Kappes duftenden Apollonia und dem nach Wacholder, Sägemehl und Eckstein riechenden Großvater liegen, der schnarchte wie der ganze Zimmerplatz.
    Und die Ruhrpottwitwen hießen Wilhelmine Wratzlaff und Luise Auguste Nowak, und deren Sohn Jakob und sie wohnten im Mobiliar vom Dapprechter Gustav und sagten vom ersten Tag an laut Watt und Woll und machten es sich ordentlich bequem.
    Meine Großmutter Apollonia hatte also meine Mutter Marianne geboren, und mein Großvater nannte sie sein Paradiesengelchen. Sie hatte weißblondes Haar, und es sollte so dünn und futschelig werden wie das von Großtante Klarissa.
    Wenn ein neuer Mensch geboren wird, muss ein alter Mensch sterben, aber so wie es gekommen war, so hatten sie es nicht verabredet, und Klemens hatte sich um so vieles zu kümmern und dann auch noch der Einzug der Witwen und des Jungen, das konnte kein Mann auf einmal bewerkstelligen.
    Da half nur ein Stoßgebet, und die Brüder vom Zimmerplatz kümmerten sich um die Beerdigung und um das Grab des Dapprechter Gustav, und die Schwestern Hanna und Klarissa halfen im Wochenbett und bei der Pflege der alten Kathrein, und zwischendurch musste mein Großvater Klemens mal zum Honiels gehen und sich einen trinken, damit er bei Verstand blieb und alles durchhielt, was da von ihm verlangt wurde. Taufe und Beerdigung, das war ja wie Ostern und Pfingsten und Himmelfahrt an einem Tag. Man wusste nicht, ob man jetzt Beileid wünschen oder gratulieren, weinen oder lachen sollte, ehrlich gesagt, war mein Großvater Klemens nicht sonderlich traurig, denn der schreckliche Gustav hatte ihm das Leben schwer gemacht.
    Jetzt war er einen fürchterlichen Moralapostel losgeworden, der immerzu das Regiment führte und einen anständigen Menschen nicht ausschlafen ließ – und hatte dafür einen kleinen Engel auf Erden, ein Goldkind, ein Bobbele, ein Herzele, einen Sonnenschein im Haus. Wenn man darauf nicht mit dem ganzen Dorf anstoßen musste! Es durfte ihn nur kein Dapprechter dabei erwischen, die nahmen es ihm womöglich übel. Wenn ihn also ein Dapprechter sah, dann weinte er, und wenn ihn ein Paulinchens sah oder ein Schlossens, dann lachte er und prostete, und wenn Hanna ihn sah, dann weinte er wieder, und wenn ihn der Müllerkoll sah, dann lachte er wieder.
    Nur die Ruhrpottwitwen, die hatten ihr eigenes Schicksal, und es scherte sie nicht, ob es nun eine Taufe oder eine Beerdigung gegeben hatte, sie polterten in ihren schweren Steinbruchschuhen Apollonia auf dem Kopf herum und schrien und gaben dem frechen Jakob von Zeit zu Zeit eine Ohrfeige und rückten die Möbel gerade so, wie es ihnen passte.
    Mein Großvater Klemens hatte ein schwarzes Gebetbuch voller Sägemehl, und darin stand: Klage nicht. Du sollst dein Los auf dich nehmen und nicht aufbegehren gegen die Prüfungen und die Heimsuchungen Gottes. Übe Geduld und Langmut, vertraue dem Herrn dein Schicksal an auf all deinen Wegen, denn Er weiß, wie es kommen muss in seinem göttlichen Ratschluss.
    Dieses Gebetbuch hat meine Großmutter Apollonia niemals gelesen.
    Die Grubenwitwen mitsamt dem nicht recht gescheiten Jakob waren ihr von Anfang an zuwider, und sie hätte sie am liebsten mit dem Stocheisen aus dem Haus gejagt. Denn es konnte doch nicht sein, dass da oben zwei armselige Witwen und der blöde Sohn zwei Zimmer und die Küche bewohnten und sie dagegen im eigenen Hause zu viert nur zwei Zimmer. Da hatte Klemens bei der Verteilung wieder mal geschlafen, der gutmütige Simpel.
    Ach, es war alles anders gekommen, als sie gehofft hatte, damals, als sie auf der Kirmes im Saal gestanden hatte, und sie waren die drei Schönsten gewesen vom ganzen Dorf, Hanna, Klarissa und Apollonia, und die Freier kamen von nah und fern und sogar noch von

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